Fondue in der Wüste

In La Silla in den chilenischen Bergen erkundet Aurélien Wyttenbach, Doktorand an der Universität Genf, andere Welten unserer Galaxie. Von Olivier Deissbourg

"Hier in den chilenischen Himmel zu schauen, mit einem Teleskop des La-Silla-Observatoriums oder auch mit dem blossen Auge, ist immer wieder überwältigend: Jede Nacht ist ein kleines Wunder! Wir beobachten nur Licht. Dennoch reicht diese Informationsquelle aus, um den überraschendsten Ideen der Astrophysik zu begegnen. Es ist Wahnsinn, sich vorzustellen, dass jedes Lichtteilchen die zurückgelegte Strecke in sich trägt und man ihm diese entlocken kann. All diese verrückten Zusammenhänge, mit denen sich das Weltall erklären lässt, begeisterten mich bereits, als ich acht Jahre alt war. So kam ich zum Physikstudium und schliesslich zur Astrophysik. Und da es unmöglich ist, alles im Detail zu verstehen, möchte ich wenigstens einige genau definierte Projekte realisieren.

Meine Dissertation beschäftigt sich mit der Atmosphäre von Exoplaneten. Diese Planeten, die um einen anderen Stern als unsere Sonne kreisen, lassen sich dank Abweichungen im Lichtspektrum ihres Sterns aufspüren. Noch zu wenig werden allerdings diese Lichtspektren genutzt, um aus bestimmten Anteilen – oder Strahlen – auf die chemischen Elemente der Atmosphäre eines Exoplaneten zu schliessen. Der Erfolg ist allerdings ungewiss, da die Beobachtung vom Boden aus wegen der störenden Erdatmosphäre schwierig ist. Aber vielleicht wird uns der Spektrograf "Espresso" helfen, der anderswo in den Kordilleren, in Paranal, eingerichtet wird.

Ich arbeite mit dem Vorgänger "Harps", der sich hier in La Silla befindet. Das ist der früheste Standort der Europäischen Südsternwarte, der eine ganze Reihe von Teleskopen beherbergt. Die Teleskope selbst sind zwar in die Jahre gekommen, nicht aber die leistungsfähigen Instrumente, mit denen sie zur Beobachtung des Himmels ausgestattet sind. Es ist deshalb motivierend, sich ein bis drei Wochen hier aufzuhalten.

In La Silla befindet sich auch das schweizerische Teleskop "Euler", das 1998 von der Sternwarte Genf eingerichtet wurde und einen Spiegel von 1,2 Meter Durchmesser aufweist. Der Unterhalt hat gezeigt, dass auch im Wettbewerb um Ergebnisse, der mit immer gigantischeren Werkzeugen geführt wird, ein nationales Teleskop effizient eingesetzt werden kann. Wenn sich ein Astronom dort aufhält, ist es üblich, dass er Beobachtungen für seine Kolleginnen und Kollegen ausführt. Das schweizerische Teleskop zeichnet sich dadurch aus, dass man die ganze Nacht allein ist. Tagsüber steht ein Techniker zur Verfügung, aber danach müssen neben dem wissenschaftlichen Programm auch die technischen Herausforderungen bewältigt werden. Dazu gehört es insbesondere, die Einrichtung bei einem überraschenden Wetterumschwung zu schützen.

Dies bereits zu Beginn einer Dissertation tun zu dürfen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Mit solchen Geräten umzugehen war für mich ein Traum, der nun Wirklichkeit geworden ist. Am Anfang fühlte ich mich stolz und geehrt. Trotz Stress gewöhnt man sich dann rasch daran. Die beobachteten Himmelskörper selber auszuwählen gibt dem Ganzen eine besondere Würze.

In La Silla sind die Nächte oft lang, besonders wenn auf der Südhalbkugel Winter ist. Aber ich bin hinter meinen Kontrollbildschirmen beschäftigt. Ich habe schnell neue Gewohnheiten angenommen: Das Mitternachtsessen und die nächtlichen Spaziergänge geben der Nacht einen vertrauten Rhythmus, denn die Umgebung ist ungewohnt. Man befindet sich abgeschieden auf 2400 Meter Höhe, mitten in einer Wüste, deren Hügel in der Dämmerung wegen ihres Reichtums an Mineralien in märchenhafte Farben getaucht sind. In solch zauberhaften Momenten finden sich manchmal alle Astronominnen und Astronomen zu einem Fondue zusammen, ein Essen, das in La Silla einen besonderen Ruf geniesst. Diejenigen, die es schon kennen, freuen sich darauf, für die anderen ist es eine Entdeckung. Und eine Gelegenheit, in einem ungezwungenen Rahmen über andere Dinge zu sprechen.

Ich kämpfe manchmal mit den Schwierigkeiten eines Jungforschers: zu wenig Ideen, Werkzeuge und Erfahrung. Nach einiger Zeit und einigen Diskussionen mit Kollegen lösen sich die Probleme. Man muss hartnäckig und geduldig sein, darf sich nicht entmutigen lassen. Umso schöner ist es, wenn sich die Teile schliesslich zusammenfügen und Gestalt annehmen. Die Publikation von Ergebnissen ist ein wichtiges Ziel für mich. Und vielleicht ist es mir ja vergönnt, etwas Aussergewöhnliches zu entdecken..."(Aus "Horizonte" 99, Dezember 2013)