Clevere Unterwäsche

Dieses Bild zeigt einen Prototypen. © Lukas Scherer, Urs Bünter und Marek Krehel

Eine Unterhose, die bei Druckgeschwüren bettlägeriger Patienten Alarm schlägt, eine Socke, die den Sauerstoffgehalt im Blut misst: Die Kleider der Zukunft können mehr als bloss warm geben. Von Simon Koechlin

Druckgeschwüre sind im Spitalalltag ein enormes Problem. Studien aus Deutschland schätzen, dass zehn bis 25 Prozent aller stationären Spitalpatientinnen und -patienten solche offenen Wunden entwickeln. Besonders häufig tritt die auch Dekubitus genannte Haut- und Gewebeschädigung bei Menschen auf, die sehr lange ruhig sitzen oder liegen müssen, zum Beispiel bei querschnittgelähmten Menschen.

Forschende versuchen, solchen Patienten auf futuristische Art zu helfen: mit intelligenten Textilien. Ein Team um Lukas Scherer von der Forschungsanstalt Empa hat im Rahmen des Forschungsprogramms "Nano-Tera" eine Art Unterhose entwickelt, mit der es in Zukunft möglich werden soll, Hinweise auf Druckgeschwüre frühzeitig zu entdecken. Noch ist das Kleidungsstück erst ein Prototyp. "Es sieht aus wie ein kleines Leintuch, das zwischen Haut und Kleidungsstück gesteckt wird", sagt Scherer.

Das Stück Stoff hat es in sich: Eingewebt sind diverse elektronische Bauteile und Sensoren, die den Patienten überwachen. Eine Forschungsgruppe um Gerhard Tröster von der ETH Zürich hat zum Beispiel Sensoren entwickelt, welche die Körpertemperatur und die Feuchtigkeit auf der Haut messen. Scherer selbst steuerte optische Fasern bei, welche die Durchblutung des Hautgewebes und den Druck anzeigen, der auf dem Körperteil lastet. Die Fasern sind mit einer Box verbunden, die dem Patienten oder dem Betreuer anzeigt, ob die Messwerte in Ordnung sind.

Weiche Elektronik

Das Revolutionäre an dem Prinzip: Alle elektronischen Module sind flexibel und weich und können mit industriellen Stick- oder Webmaschinen direkt ins Textil integriert werden. "Unsere Unterwäsche darf den Patienten nicht stören. Wir wollen ja nicht mit harten Bauteilen noch mehr Druckgeschwüre verursachen", sagt Scherer. In den nächsten Monaten wird die "intelligente Unterhose" an Patienten im Paraplegikerzentrum Nottwil getestet. Dann wird sich zeigen, ob sie Druckgeschwüre frühzeitig aufspüren kann.

Für Scherer steht aber vorerst der Forschungsaspekt im Vordergrund. "Über die medizinischen Faktoren von Dekubitus ist noch vieles unbekannt", sagt er. "Mit der intelligenten Unterwäsche können wir untersuchen, welche der von uns gemessenen Parameter mit den Gewebeschädigungen in Zusammenhang stehen."

Der Einbau von Elektronik in Textilien birgt noch andere Einsatzmöglichkeiten. Die ETH-Forscher um Gerhard Tröster etwa haben, ebenfalls im Rahmen des "Nano-Tera"-Programms, eine Socke entwickelt, welche die Sauerstoffsättigung des Blutes misst. Irgendwann könnte dieses Textil dazu benutzt werden, um Patienten mit Gefässverengungen oder -verschlüssen in den Beinen und Füssen zu überwachen.

Überhaupt sieht Scherer in Langzeitmonitorings ein grosses Potenzial dieser Messgeräte. Ältere Menschen könnten damit Tag und Nacht überwacht werden. Auffällige Werte würden ans Spital oder an den Arzt übermittelt. Gut möglich also, dass in Zukunft die besten Helfer von Alterspflegerinnen und Alterspflegern im Kleiderschrank
zu finden sind.

(Aus "Horizonte" 99, Dezember 2013)