Falscher Alarm

Arbeiter in Peru, die Mist von Seevögeln aufsammeln, der reich an Phosphat und Nitrat ist. © Keystone/Laif/Dado Galdieri

Phosphor ist ein lebenswichtiges Element, belastet aber die Umwelt. Auch wenn die Reserven länger reichen werden, als behauptet wird, sollten wir den Umgang mit dem kostbaren Rohstoff überdenken. Von Felix Würsten

​Es ist noch nicht lange her, da sorgte Phosphor hierzulande für unliebsame Schlagzeilen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Phosphorgehalt in den Gewässern immer mehr zu, mit teilweise bedenklichen ökologischen Folgen. Erst gegen Ende der 1980er Jahre verringerte sich die Belastung, dank dem Ausbau der Abwasserreinigung, dem Verbot von Phosphat in Waschmitteln und der Ökologisierung der Landwirtschaft.

Inzwischen sorgt Phosphor in anderer Hinsicht für Aufregung: "Das Lebenselixier geht zur Neige", "Die Phosphor-Krise: Das Ende der Menschheit?" – mit solchen Schlagzeilen griffen die Medien in den letzten Jahren eine scheinbar neue These auf, die von verschiedenen Forschern mit grosser Dringlichkeit vorgebracht wurde, nämlich dass uns der lebensnotwendige Rohstoff Phosphor in absehbarer Zeit ausgehen wird. Ähnlich wie beim Erdöl, wo es eine lebhafte Diskussion gab, wann die globale Produktion das Maximum erreichen würde, skizzierten diese Forscher auch beim Rohphosphat ein Szenario, wonach bereits in gut zwanzig Jahren die Produktion ihren "Peak" erreicht haben würde.

Im Gegensatz zum Erdöl, das sich durch andere Energieträger ersetzen lässt, wäre es beim Phosphor viel kritischer, wenn die Vorräte schon bald zur Neige gehen würden. Denn Phosphor lässt sich nicht ersetzen, es ist ein essenzielles Element, ohne das Tiere und Pflanzen nicht existieren können. Es entscheidet unter anderem darüber, wie hoch die Erträge der Landwirtschaft sind. Können die Bauern ihre Felder nicht mit Phosphordünger bewirtschaften, wäre die Nahrungsmittelproduktion in der heutigen Form nicht mehr möglich.

Doch wie ernsthaft ist die angesagte Krise tatsächlich? "Die Situation ist nicht so dramatisch, wie sie teilweise dargestellt wird", erklärt Andrea Ulrich von der ETH Zürich. Sie hat in ihrer Doktorarbeit am Institut für Umweltentscheidungen die Problematik beleuchtet. Dabei zeigt sich: Diskussionen, wie lange die Rohphosphatvorkommen, aus denen mineralischer Phosphordünger gewonnen wird, reichen würden, gab es schon in den 1930er und 1970er Jahren.

Wann die Vorräte zur Neige gehen werden, lässt sich nicht so einfach berechnen, hängt die Lebensdauer der Weltreserven, von denen vier Länder – Marokko, China, Algerien und die USA – zusammen 85 Prozent besitzen, doch von vielen Faktoren ab. Der Preis, die Nachfrage und das Angebot spielen etwa eine Rolle, aber auch technische Innovationen beim Abbau und das politische Umfeld. Massgebend für die Berechnung der Reservedauer ist nicht, was physikalisch vorhanden ist, sondern unter welchen ökonomischen Bedingungen das Rohphosphat abgebaut wird. Denn dies entscheidet, ob ein Vorkommen abbauwürdig ist oder nicht.

Irreführende Diskussion

Gerade auch aus diesem Grund ist die gegenwärtige Peak-Diskussion wenig hilfreich, vermittelt sie doch ein falsches Bild. "Wenn wir das Problem ernsthaft angehen wollen, müssen wir das ganze System im Auge behalten und beispielsweise auch die Phorsphorverfügbarkeit im Boden berücksichtigen", ist Ulrich überzeugt. Ein erster Schritt dazu wäre, die Datenlage zu verbessern, damit die Diskussion auf eine solidere Grundlage gestellt werden kann. Immerhin: Es gibt in der Literatur bereits verlässliche Zahlen, und diese zeigen, dass die heutigen Reserven noch für rund 350 Jahre reichen sollten.

Der Blick in die Vergangenheit ist noch aus einem anderen Grund hilfreich: "Schon früher hat man über mögliche notwendige Massnahmen gesprochen. So wichtig neue Lösungsansätze sind: Wir sollten das Rad nicht immer wieder neu erfinden, sondern das bereits erarbeitete Wissen gezielt nutzen", findet die Forscherin. Bemerkenswert ist, dass die immer wieder geführte Diskussion um die Begrenztheit des Phosphors letztlich zu einer Ausweitung der Reserven führte. Andere Lösungsvorschläge wie etwa die Drosselung des Verbrauchs wurden hingegen nicht weiterverfolgt – mit fatalen Folgen für die Umwelt: Vielerorts setzt die Landwirtschaft Phosphor nach wie vor verschwenderisch ein und belastet so unnötig die Gewässer.

Dabei gäbe es durchaus verschiedene Ansatzpunkte: So würde etwa der bewusstere Umgang mit dem Essen dazu führen, dass in den Industrieländern weniger Lebensmittel weggeworfen würden. Und durch einen gezielteren Düngereinsatz und eine effektivere Düngernutzung durch Pflanzen oder Tiere liesse sich nicht nur der Verbrauch drosseln, sondern auch die Belastung der Umwelt eindämmen. Nicht zuletzt sieht Ulrich auch im Recycling eine Notwendigkeit: "Wenn wir aus dem Klärschlamm und Abwasser Phosphat zurückgewinnen, ist dies ein wichtiger Beitrag für eine nachhaltigere Phosphornutzung."

Dünger und Kernkraftwerke

Ulrich plädiert aber auch dafür, das Rohphosphat besser zu nutzen. Dazu macht sie einen brisanten Vorschlag: Rohphosphat enthält teilweise beachtliche Mengen an Uran. Würde man das Uran bei der Aufbereitung separieren, könnte man nicht nur umweltfreundlicheren Dünger herstellen, sondern auch die Uranversorgung der Kernkraftwerke längerfristig sichern. Denn auch beim Uran sind die leicht abbaubaren Vorräte beschränkt. Dabei geht es um beachtliche Mengen: Allein im Jahr 2010 wäre es im Prinzip möglich gewesen, 11 000 Tonnen Uran aus Rohphosphat zu gewinnen – immerhin ein Fünftel der globalen Uranproduktion. Auch dieser Vorschlag wurde bereits in den 1950er und 1970er Jahren diskutiert, man baute sogar entsprechende Anlagen. Doch als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion plötzlich grosse Mengen an überschüssigem Uran auf den Markt kamen, geriet diese Idee in den Hintergrund.

Nach Ansicht von Ulrich braucht es nun einen Ansatz, der auf verschiedenen Ebenen ansetzt. "Ideal wäre, wenn alle Beteiligten – die Industrie, die Behörden, NGOs sowie die Wissenschaft – miteinander in einen Dialog kämen." Dies wäre auch deshalb wichtig, weil es grundlegende Verteilungsfragen zu klären gilt. So kann in bestimmten Weltgegenden das landwirtschaftliche Potenzial nicht ausgeschöpft werden, weil dort nicht genügend Phosphordünger zur Verfügung steht. Tatsächlich wurden in der letzten Zeit verschiedene Initiativen gegründet, die das Problem auf nationaler und internationaler Ebene angehen wollen. Dennoch ortet Ulrich eine institutionelle Lücke: "Sowohl das Umweltprogramm als auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno sehen sich nur teilweise als zuständig an. Letzlich fehlt also eine Institution, welche die Fäden zusammenhält und das vorhandene Wissen bündelt."

Felix Würsten ist freier Wissenschaftsjournalist.

(Aus "Horizonte" Nr. 102, September 2014)