Präventiver Fleiss

Der Grosse Kaukasus © Jon Mosar

Die Tektonik des Grossen Kaukasus wird auf einer detaillierten Karte verzeichnet. Mit ihr sollen Erdbeben vorhersehbar sein. Von Pierre-Yves Frei

Das markante Relief des Grossen Kaukasus ist von seltener Schönheit. Hier sind die höchsten Gipfel Europas zu finden. Der Mont-Blanc wird vom Elbrus (5642 Meter), aber auch vom Kasbek (5033 Meter) deutlich überragt. Die Region ist jedoch auch für ihre Instabilität bekannt. Dies gilt sowohl für die politische Lage, die von regionalen Feindschaften und schwer überwindbaren Grenzen geprägt ist, als auch für die Seismik: In bestimmten Gebieten des Kaukasus kommt es immer wieder zu heftigen Erdbeben. Diese Erschütterungen gehen mit einer Hebung mehrerer Orte der Gebirgskette einher, die ausgeprägter ist als in den Alpen.

"Wir wollen ergründen, wie sich die Kollision zwischen der arabischen und der europäischen Platte auswirkt, wie die Seismik mit dem komplexen System der grossen Verwerfungen zusammenhängt, wie diese die Topografie geformt haben und vor allem, wie sich die verschiedenen tektonischen Einheiten im Verlauf der Auffaltung und Überschiebung zusammenfügten", sagt Jon Mosar. Die erste wissenschaftliche Reise des Geologieprofessors der Universität Freiburg liegt bereits zwölf Jahre zurück: Sie führte ihn nach Aserbaidschan. "Heute arbeiten in unserem Team Forschende aus Aserbaidschan, Georgien und Russland zusammen. Das gemeinsame Interesse an der Geologie dieser Region hat die politischen Differenzen überwunden. Dank diesem Scopes-Projekt können wir in diesen Ländern, in denen es oft drastisch an Forschungsgeldern mangelt, zu wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen."

Fünfzehn Millionen Jahre jung

Mit rund fünfzehn bis fünf Millionen Jahren sind die Erhebungen des Kaukasus – genau wie die der Alpen – gemessen an geologischen Zeiträumen jung. Während die Hebung der Alpen durch die Unterschiebung der afrikanischen unter die europäische Platte verursacht wurde, ist an der kaukasischen Kollision die arabische Platte beteiligt. Und während der Kleine Kaukasus das direkte Ergebnis dieser Subduktion ist, schloss der Grosse Kaukasus bei dieser Gesamtbewegung vor mehr als hundert Millionen Jahren ein riesiges Sedimentbecken ein. Diese tektonische Einheit interessiert die Geologen besonders, die zu kartografieren versuchen, wo und wie dieses Becken in die aktuellen Erhebungen eingebettet ist, um deren Entstehung besser zu verstehen.

Diese Arbeit kombiniert neue Erkenntnisse mit den Ergebnissen früherer Arbeiten, die unabhängig voneinander in den verschiedenen involvierten Ländern durchgeführt worden waren. Die Verschmelzung dieser tektonischen Daten ist die Grundidee des Projekts von Jon Mosar. Der Forscher rekrutiert gegenwärtig Masterstudierende sowie Doktorierende für die Fleissarbeit, die darin besteht, die Daten aller Partner abzugleichen. "Die Belohnung dafür wird die detaillierteste tektonische Karte sein, die es zu dieser Region je gab."


Die Karte wird auch die grossen Verwerfungen aufzeigen, die dieses Gebiet bedrängen. Das ist eine wertvolle Hilfe für die Prävention im Zusammenhang mit geologischen Risiken, insbesondere im Hinblick auf starke Erdbeben.
(Aus "Horizonte" Nr. 102, September 2014)