Mit Schwingungen in die Quantenwelt

Tobias Kippenberg, Gewinner des Latsis-Preis 2014 © Valérie Chételat

Tobias Kippenberg untersucht Quantenoszillationsphänomene bei Mikroresonatoren – von Auge nicht sichtbare Objekte, die Licht auf kleinstem Raum speichern können. Für diese Arbeiten, die die Entwicklung ultrapräziser Messgeräte ermöglichen, wurde er mit dem Latsis-Preis 2014 ausgezeichnet. Von Anton Vos

​An einem Wintermorgen im Jahr 1994 schwingt sich der junge Tobias Kippenberg in Bremen an der deutschen Nordseeküste auf sein Fahrrad. Es ist kalt, aber die Strasse scheinbar nicht gefroren, deshalb fährt er zügig los. Plötzlich gerät er unerwartet doch auf Glatteis und wird unsanft auf den Asphalt geschleudert. Schimpfend steht der Schüler wieder auf, nicht ahnend, dass dieser kleine Unfall noch glückliche Folgen haben wird: Er wird ihn in die Welt der Wissenschaft führen – zuerst ans California Institute of Technology (Caltech), dann ans Max-Planck-Institut und schliesslich an die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETHL).

"Nach diesem Unfall fragte ich mich, ob es nicht möglich wäre, ein Gerät zu konstruieren, mit dem sich der Strassenzustand messen lässt, und insbesondere, ob die Oberfläche nur nass oder gefroren ist, was sich von Auge oft nicht erkennen lässt", erinnert sich Tobias Kippenberg. Er ist heute Professor am Labor für Photonik und Quantenmessung der ETHL und wurde kürzlich für seine optomechanischen Arbeiten mit dem nationalen Latsis-Preis 2014 ausgezeichnet.

Schon damals ganz Forscher, gibt sich der zukünftige Wissenschaftler nicht mit dem blossen Traum zufrieden, wie die Welt (und er selbst) von einer solchen Erfindung profitieren könnte. Unverzüglich macht er sich an die Arbeit. Er stöbert in der Bibliothek ein Buch auf über die Wechselwirkungen von Licht und Materie und ein weiteres Werk eines amerikanischen Autors (vom Caltech) über die Untersuchung des Polareises mit Hilfe der Radartechnik. Inspiriert von diesen Werken und mit viel Erfindungsgeist bastelt er eine experimentelle Vorrichtung mit einer Mikrowellenquelle und einem Infrarotlaser. Sein Gerät, das er "Infrared-microwave radiation ice condition sensor for cars" tauft, eignet sich hervorragend für die Detektion von Glatteis. Mit dieser Erfindung gewinnt Tobias Kippenberg den deutschen Wettbewerb "Jugend forscht" und 1996 den ersten Preis beim achten EU-Wettbewerb für junge Wissenschaftler.

Nun scheint der Weg des jungen Mannes, Sohn eines Professors für vergleichende Religionswissenschaften, vorgezeichnet zu sein. Er studiert in Aix-la-Chapelle Physik und Elektrotechnik und erhält dort 1998 seinen Bachelor. Dann reist er in die USA, wo er am Caltech in Pasadena aufgenommen wird.

12 Mikrometer Fahrradreifen

Hier entwickelt er seine ersten mikroskopischen Strukturen (Mikroresonatoren), die Photonen speichern können, und zwar für mehrere Mikrosekunden – eine für diese Lichtteilchen beträchtliche Zeitdauer, in der sie fast einen Kilometer zurücklegen. Dieses Gebiet fasziniert ihn bis heute.

2005 kehrt er nach Deutschland zurück und übernimmt die Leitung einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut
in Garching, wo er Theodor Hänsch kennenlernt, Nobelpreisträger für Physik. Seine Habilitation erhält er an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2008 wird er als Assistenzprofessor an die ETHL berufen, 2013 wird er hier zum ordentlichen Professor ernannt.

Gegenstand der Forschung, für die er 2014 den Latsis-Preis erhielt, ist die Entwicklung eines winzigen Oszillators aus Glas in der Form eines Reifens und mit einem Durchmesser von nur 12 Mikrometern. Dieser Resonator ist gleichzeitig optischer und mechanischer Natur. Das Licht kreist im ringförmigen Teil der Struktur, dessen Aussehen sich mit einem Fahrradreifen vergleichen lässt.
 
In einem 2012 in der Fachzeitschrift "Nature" publizierten Experiment wurde der Resonator auf ein halbes Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt. Tobias Kippenberg und sein Team konnten nun zum ersten Mal zeigen, dass die Temperatur weiter gesenkt werden kann, indem Photonen in den Resonator injiziert werden und ein genau kontrollierter Strahlungsdruck erzeugt wird. Bei diesem Vorgang entsteht eine so enge Kopplung zwischen dem Licht und den mechanischen Bewegungen, dass sich die optischen und mechanischen Eigenschaften der Struktur nicht mehr trennen lassen.

Begeisterung für Anwendungen

Der Oszillator wird dabei so kalt, dass er sich grösstenteils in einem sogenannten Fundamentalzustand befindet. Dieser Zustand mit minimalen Schwingungen lässt sich nur mit der Quantenmechanik beschreiben. Nach dieser Theorie ist ein Objekt nie vollkommen unbeweglich, nicht einmal bei der Temperatur des absoluten Nullpunkts.

"Damit gelang es uns, ein Objekt aus Milliarden von Atomen auf so tiefe Temperaturen abzukühlen, dass wir Quantenphänomene beobachten konnten", erklärt Tobias Kippenberg. "Wir haben uns damit in die Grundlagenforschung begeben und möchten die Arbeiten in dieser Richtung weiterführen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir uns ganz von möglichen Anwendungen
unserer Forschung abwenden. Im Gegenteil: Meine Begeisterung für die Wissenschaft schloss immer beide Aspekte ein."

Interessante Anwendungen verspricht eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft der Mikroresonatoren, die er bei seinem Aufenthalt am Max-Planck-Institut entdeckte: Durch das Licht eines Laserstrahls, der über eine feine optische Faser an einen Mikroresonator gekoppelt ist, kann ein sogenannter Frequenzkamm erzeugt werden. Solche Frequenzkämme werden für die ultrapräzise Kalibrierung von Spektrometern der Astronomie oder in Atomuhren eingesetzt. Problematisch war bisher, dass die Generatoren für diese Frequenzkämme so gross wie ein Tisch, sehr teuer und äusserst komplex waren. Jene von Tobias Kippenberg dagegen sind winzig klein und werden mit denselben Methoden wie Computerchips hergestellt. Ein erstes Patent wurde 2007 angemeldet, dann ein zweites 2013 durch die ETHL. Diese Erfindung, für die der Forscher 2009 mit dem "Helmholtz- Preis für Metrologie" geehrt wurde, ist nicht mehr allzu weit von einer Vermarktung entfernt. Tobias Kippenberg will die-sen letzten Sprung nunmehr mit der Lancierung eines Startups wagen.

Anton Vos ist Wissenschaftsjournalist, insbesondere für die Universität Genf.
(Aus "Horizonte" Nr. 103, Dezember 2014)