Wo helfen nicht ausreicht

eine gespendete Leber für eine Organtransplantation © Keystone/Laif/Dominik Butzmann

Eine Lausanner Studie untersucht die Rolle von Patientenorganisationen in der Debatte über die Organspende. Vorläufiges Fazit: Ohne starke Allianz ist es schwierig, politisch Einfluss zu nehmen. Von Irène Dietschi

​Sie heissen "AGIR", "A Coeur Ouvert" oder auch "PromOrgane": Patientenorganisationen in der Westschweiz, die sich für die Organspende einsetzen. Patientinnen und Patienten spielen heute in der Medizin eine zunehmend aktive Rolle. Sie treiben die klinische Forschung voran, vernetzen sich mit Partnern aus der Industrie und betreiben politisches Lobbying. Profitieren von diesem Trend auch die Organspende-Organisationen?

Dieser Frage geht eine interdisziplinäre Studie unter der Leitung des Lausanner Soziologen Raphaël Hammer von der Haute Ecole de Santé Vaud nach. Ebenfalls beteiligt sind der Historiker Vincent Barras vom Institut für Medizingeschichte und öffentliche Gesundheit sowie Manuel Pascual vom Transplantationszentrum am CHUV. Die Studie analysiert zum einen anhand historischer Dokumente, wie sich die Organspende in der Schweiz zum sozialpolitischen Anliegen entwickelt hat; die Dokumente stammen aus Spitalarchiven, dem Archiv von Swisstransplant, Ärztezeitschriften und der Publikumspresse. Zum anderen untersuchen die Forscher die Rolle der Patientenorganisationen, wobei sie sich auf die Westschweiz konzentrieren.

Die vorläufigen Resultate fallen eher ernüchternd aus: "Patientenorganisationen scheint es nicht zu gelingen, die Organspende ähnlich wirksam in die Öffentlichkeit zu tragen und dort sichtbar zu machen, wie dies zum Beispiel der ‹Positivrat› für das Thema HIV fertiggebracht hat", sagt Studienleiter Raphaël Hammer. Die 15 Vereinigungen, die für die Studie interviewt wurden, sind zwar alle sehr engagiert: Sie kümmern sich um Betroffene, organisieren Ferienlager, Konzerte und Events, sie verschicken interne Newsletter oder machen an Ständen auf ihre Anliegen aufmerksam. Trotzdem haben sie kaum Einfluss auf die öffentliche Debatte. Die meisten haben sehr geringe finanzielle und personelle Ressourcen, und ihre Aktionen beruhen auf der Initiative weniger Mitglieder.

Zudem: Das Engagement ist lokal beschränkt – Koalitionen kommen nur selten zustande. Die Pläne eines nationalen Dachverbands scheiterten vor Jahren. Hinter solchen Alleingängen stecken häufig die sehr persönlichen Motive und Geschichten der Betroffenen. Der Gründer und Präsident von "A Coeur Ouvert" beispielsweise sagte im Interview mit den Forschern, er wolle mit seinem Einsatz das "Geschenk der Spende" zurückgeben: "Ich hatte Hilfe bekommen, deshalb ist es für mich logisch, anderen zu helfen."

Miserable Spendestatistiken

Eine ehrenwerte Haltung. Doch auf dem öffentlichen Parkett ist vor allem geschicktes Lobbying gefragt. Raphaël Hammer vermutet, dass zum Beispiel der "Positivrat" deshalb so erfolgreich agiert, weil sich die Community – HIV-Betroffene, unterstützt von der gut organisierten Homosexuellen-Bewegung – geschlossen für ihre Anliegen einsetzt. Anders die Organspende-Organisationen: Ihnen fehlen fast in jeder Beziehung die Voraussetzungen, um unter sich die Reihen zu schliessen. Auch in strategischen Fragen sind sie sich uneins. Manche der Interviewten unterstützen die "Zustimmungslösung", wie sie das Schweizer Transplantationsgesetz vorsieht – Organe dürfen einer verstorbenen Person nur dann entnommen werden, wenn explizit das Einverständnis dazu gegeben wurde. Andere hingegen befürworten die "Widerspruchslösung" – ein Schweigen wird als Zustimmung gewertet.

Ein gemeinsamer Nenner besteht trotzdem: Die meisten Patientenorganisationen haben Mühe mit der neutralen und vorsichtigen Politik des Bundes zur Organspende. Der Leitspruch der aktuellen Kampagne von Swisstransplant – "Haben Sie schon mal über das Thema Organspende nachgedacht?" – geht in ihren Augen nicht weit genug. "Neutralität bedeutet bei der Organspende gar nichts", gab ein Interviewter den Forschern zu Protokoll. Die miserablen Schweizer Spendestatistiken scheinen dem Mann recht zu geben.

Irène Dietschi ist freie Wissenschaftsjournalistin mit eigenem Büro in Olten.
(Aus "Horizonte" Nr. 103, Dezember 2014)