Die Angst vor der gespaltenen Mutter

Kinder mit drei Eltern sind die Horrorvision der Einen. Die Anderen hoffen mit der Mitochondrienspende schwere Erbkrankheiten zu vermeiden. Während Grossbritannien in der Fortpflanzungsmedizin vorprescht, wartet die Schweiz ab. Von Florian Fisch

(Aus "Horizonte" Nr. 105, Juni 2015)

Als erstes Land der Welt hat Grossbritannien im Februar 2015 die Mitochondrienspende zugelassen. Dank dieser Erweiterung der Befruchtung im Reagenzglas können schwere Erbkrankheiten verhindert werden (siehe "Defekte Zellbestandteile ersetzen"). Diese werden durch kleine Bestandteile der Zelle, die Mitochondrien, von der Mutter an das Kind weitergegeben.

Bei der Mitochondrienspende werden, vereinfacht gesagt, die krankmachenden
Mitochondrien durch die Mitochondrien einer Spenderin ersetzt – ein spektakulärer
Erfolg der Fortpflanzungsmedizin. Obwohl der Anteil des Mitochondrions am
Erbgut nur 0,1 Prozent ausmacht und es keine bekannten Merkmale des Aussehens
oder der Persönlichkeit bestimmt, wird oft von 3- Eltern-Kindern gesprochen. Denn so klein dieser Anteil auch sein mag, so werden die nachfolgenden Generationen doch dauerhaft verändert. "Eingriffe in die Keimbahn sind weitherum tabu und gesetzlich verboten", sagt Andrea Büchler, Rechtswissenschaftlerin von der Universität Zürich.

Konservatives Familienbild

Das britische Parlament sieht in der Mitochondrienspende keine Keimbahnveränderung und übernimmt in dieser Frage, wie so oft in der Fortpflanzungsmedizin, die Pionierrolle. Die Schweiz hinkt, ebenso typisch, hinterher. "Wir befinden uns auf einer deutschsprachigen Insel", sagt Barbara Bleisch, Ethikerin von der Universität Zürich. "Länder wie Grossbritannien, Belgien, Spanien, Portugal und die osteuropäischen Staaten sind da viel liberaler."

Hierzulande sind die künstliche Befruchtung und die Samenzellspende zwar
erlaubt, die Eizellspende ist aber verboten – somit auch die Mitochondrienspende. Für Bleisch, die die Eizellspende legalisieren möchte, hat dies auch mit einem konservativen Familienbild zu tun: "Man will um jeden Preis die Spaltung der Mutterschaft verhindern." Die Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin stellen die Mutterschaft, die im Gegensatz zur Vaterschaft bisher immer als sicher galt, zunehmend in Frage. Denn mit der Mitochondrienspende kommt eine zweite genetische Mutter dazu. Die Unsicherheit der Vaterschaft mussten die Menschen schon immer hinnehmen, weshalb die Samenzellspende erlaubt sei.

Geschickte Reproduktionsmediziner

In Grossbritannien erblickte das erste im Reagenzglas gezeugte Kind bereits 1978
das Licht der Welt. Vor vier Jahren stellte die britische Aufsichtsbehörde für die
Fruchtbarkeitskliniken und Embryonenforschung (HFEA) ein Expertenkomitee zusammen und organisierte Umfragen. Das Resultat ist die im Februar verabschiedete Anpassung des Gesetzes zur künstlichen Befruchtung. Die Eingriffe müssen einzeln bewilligt und für die Sicherheitsforschung medizinisch nachbegleitet werden.

Für den katholischen Theologen und Ethiker Markus Zimmermann von der
Universität Freiburg geht das zu schnell und unreflektiert. Er kritisiert besonders
die Salamitaktik der Fortpflanzungsmediziner: "Regelmässig werden wir aufgefordert, über einen nächsten kleinen technischen Fortschritt abzustimmen, nie steht das grundsätzliche Tun zur Debatte." Sein aktuelles Beispiel ist die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, über die am 14. Juni 2015 abgestimmt wird.

Ist die Mitochondrienspende nötig?

"Wir sollten uns Gedanken darüber machen, was wir beispielsweise unter krank
und gesund verstehen", fordert Zimmermann. Mitochondriale Erbkrankheiten
könnten schliesslich auch durch Verzicht auf eigenen Nachwuchs, Adoption oder
eine Eizellspende verhindert werden, sagt Zimmermann. Er wünscht sich beispielsweise ein Forschungsprogramm zu den gesellschaftlichen Konsequenzen der Reproduktionsmedizin.

Die Unterschiede zwischen Grossbritannien und der Schweiz führt die Rechtswissenschaftlerin Büchler auch auf die bioethische Kultur zurück: "Die kontinentaleuropäische Diskussion ist deontologisch geprägt. Man befürchtet eine Instrumentalisierung und Verletzung der Würde des Menschen. Im angelsächsischen
Raum dominiert das utilitaristische Denken, das sich am Nutzen für die Betroffenen
orientiert."

Die Ethikerin Bleisch vertritt eher diese angelsächsische Haltung: "In einer liberalen
Gesellschaft sind Verbote problematisch." Bis die Mitochondrienspende in der
Schweiz erlaubt wird, werden sicher noch viele Jahre vergehen. Doch selbst der kontinentaleuropäisch denkende Theologe Zimmermann räumt ein: "Die Zeit für die
Diskussion ist knapp."

Der Biologe Florian Fisch ist Wissenschaftsredaktor des SNF.