Die Jungen. Wer sonst?

Von Martin Vetterli

​​(Aus "Horizonte" Nr. 106, September 2015)
Bild: © Fotolia / casanowe

Unwissenheit ist ein wichtiger Motor für die Forschung. Albert Einstein soll mit zwölf Jahren seine Mutter gefragt haben, was er sehen würde, wenn er mit Lichtgeschwindigkeit reisen und gleichzeitig einen Spiegel vor sich halten würde. Und Anfang des 17. Jahrhunderts fragte sich Pierre de Fermat, ob es für die Gleichung a2 + b2 = c2 ganzzahlige Lösungen für Exponenten gibt, die grösser als 2 sind. In jüngerer Zeit baute Michel Mayor von der Universität Genf ein Instrument, um die Existenz von Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems zu erforschen. Im Glauben, diese wohl nie zu Gesicht zu bekommen, wurde er 1995 positiv überrascht.

Relevante wissenschaftliche Fragen sind also oft das Ergebnis einer naiven, etwas ahnungslosen Denkweise. Kombiniert mit Intelligenz, Neugierde, Kreativität und etwas Glück sind es aber genau diese Fragen, die neues Wissen, Erkenntnisse und neue Instrumente hervorbringen, von denen die ganze Gesellschaft profitiert.

Aus Sicht der Forschungsförderung stellt sich natürlich die Frage, wo man heute in der Wissenschaft solch unschuldige Unkenntnis findet. Die Antwort liegt und hat, wie das Beispiel von Einstein zeigt, vermutlich schon immer bei den Jungen gelegen. Fakt ist, dass Forschende meist in jungen Jahren am produktivsten sind. Sie sind es auch, die Durchbrüche erzielen, indem sie seltsame Fragen stellen Hungerund ungewöhnliche Theorien aufstellen.Leider scheint die heutige Wissenschaft jedoch nicht genug Platz für junge Forschende zu haben. Wie die Fachzeitschrift "Nature" jüngst schrieb, übertrifft an den nationalen Gesundheitsinstituten der USA die Anzahl Forschender im Rentenalter seit ein paar Jahren die der unter 36-Jährigen – Tendenz steigend. Zudem hat sich seit 1980 das Durchschnittsalter, in dem Naturwissenschaftler in den USA ihr erstes unabhängiges Stipendium – nicht etwa eine Professur – erhalten, von 36 auf 42 erhöht.

In der Schweiz weist der Trend in eine ähnliche Richtung: Während im 19. Jahrhundert das Durchschnittsalter 35 war, um eine (ordentliche!) Professur am Departement Chemie der ETH zu erlangen, können Forschende heute froh sein, wenn sie im selben Alter eine gewisse Unabhängigkeit erlangt haben. Es ist für junge Wissenschaftler also sehr schwierig geworden, eigene Ideen zu verwirklichen und eine unabhängige akademische Karriere zu verfolgen. Viele junge Talente kehren der Hochschule deshalb den Rücken und suchen ihre Chance anderswo.

Eine heikle Situation. Denn der Verlust dieser hellen Köpfe bedeutet auch der Verlust des eigentlichen Motors für Innovation und Entdeckung dank Unwissen. In den Worten des Medizinnobelpreisträgers Sydney Brenner: "Ich bin überzeugt, dass Innovation nur gefördert werden kann, indem man sie den Jungen überlässt, denn sie haben den grossen Vorteil, unwissend zu sein. Ich halte Unwissenheit in der Wissenschaft für sehr wichtig. Wenn man, wie ich, zu viel weiss, kann man nichts Neues ausprobieren."