Herr der Fruchtfliegen

Die Sinne der Fruchtfliege faszinieren den Biologen und Latsis-Preisträger Richard Benton bei der Arbeit. Zu Hause kümmert sich der leidenschaftliche Pianist um die Wäsche und das Kochen. Von Chantal Britt

​(Aus "Horizonte" Nr. 107, Dezember 2015)

Die meisten Biologen sezieren in ihrer Ausbildung einmal Fruchtfliegen. Aber nur wenige sind noch Jahre später so fasziniert von der Drosophila melanogaster, dass ihre Augen strahlen wie bei einem Kind, dem zum ersten Mal ein neues Kunststück gelingt. Richard Benton ist einer von ihnen. Der 38-jährige Professor an der Universität Lausanne untersucht den Geruchssinn der Fruchtfliegen. Seine Neugier und sein Wunsch, die Natur zu verstehen, sind auch nach Verlassen des Campus noch präsent.

"Ich denke auch ausserhalb der Arbeit oft über Insekten und ihr Verhalten nach",
sagt Benton. "Warum versammeln sich Fruchtfliegen gerne in Reih und Glied an
der Kante eines Schrankes oder warum werden sie stärker von Bananen als von
Äpfeln angelockt?" Seine Begeisterung kann auch ausufern, wenn er zu Hause
von seinen Überlegungen erzählt: "Es genügt zu sehen, wie meine Kinder dann
die Augen verdrehen!" Zumindest seine Frau – übrigens einer der Gründe, in die
Schweiz zu ziehen – teilt seine Liebe zur Forschung. Er lernte Sophie Martin während
des Doktorats in Cambridge kennen. Später führte die Wissenschaft das Paar auch nach New York.

Von New York nach Préverenges

Benton hätte überall leben können – in Edinburgh, wo er geboren wurde, anderswo
in Grossbritannien oder in den USA. "Aber meine Frau wollte nach Lausanne zurück", erinnert er sich. "Es gelang ihr, eine der prestigeträchtigen SNF- Förderungsprofessuren für Mikrobiologie zu erhalten, und ich hatte das Glück, als Assistenzprofessor angestellt zu werden." Ihr gegenwärtiger Valérie Chételat Wohnort, Préverenges, war ihnen anfänglich etwas zu ländlich.

"Gleichzeitig hat sich auch unser Leben verändert. Wir haben ein schönes Haus mit
Garten und können leicht wandern, joggen oder im See schwimmen gehen." Es sei
auch praktisch, die Schwiegereltern in der Nähe zu haben. "Mit einer jungen Familie
und einer Karriere in der Wissenschaft leiden zeitintensive Hobbies – zumindest
für einige Zeit." Benton ist leidenschaftlicher Cellist und Pianist. Seine Frau spielt
Violine. Gegenwärtig bleibe nicht mehr genügend Zeit, um in einem Orchester
mitzuwirken.

In seinem mit Familienfotos und Baby-T-Shirts geschmückten Büro hängen auch
die Bilder der Klassenkameraden seiner Tochter vom letzten Laborbesuch. "Ich
mag ihre Begeisterung, Faszination und Neugierde". Wie ein Kind wirkt auch Benton,
wenn er aufgeregt ein Bild aus dem Elektronenmikroskop mit dem übergrossen
Kopf einer Fruchtfliege zeigt und auf die Nase des Tiers weist.

Weinberge vor Fruchtfliegen schützen

"Die Fliegen verfügen über ungefähr hundert verschiedene Sinneszellen", erklärt er.
"Auch wenn ihre Nase einfacher ist als unsere, ist die Wahrnehmung von Gerüchen
bei Insekten der des Menschen erstaunlich ähnlich, zumindest was die Organisation
der Nervensysteme betrifft." Seine Forschungsgruppe seziert Fliegenhirne und
arbeitet mit unterschiedlichen Methoden, um die Komplexität des Geruchssinns zu
verstehen: von Genetik und bildgebenden Verfahren über die Aufzeichnung der von
den Neuronen gesendeten elektrischen Signale bis zu Verhaltensexperimenten.

"Wenn wir verstehen, wie Insekten Pheromone und Essensgeruch im Labor wahrnehmen, können wir auch versuchen, die Mechanismen chemisch zu verändern,
welche das Verhalten der Fliegen in der freien Natur steuern." Bentons Studienobjekt
Drosophila melanogaster, die gewöhnliche Essigfliege, wird von verdorbenen
Früchten angelockt. Der Modellorganismus, der seit über einem Jahrhundert studiert
wird, ist besser bekannt als fast alle anderen Tiere.

Während die Drosophila melanogaster uns nur leicht nervt, wenn sie sich an verdorbenen Früchten in unseren Früchtekörben gütlich tut, ist die eng verwandte Drosophila suzukii eine ernsthaftere Plage. Sie legt ihre Eier in reife Früchte und zerstört so Trauben- und Erdbeerernten weltweit, auch in der Weinregion Lavaux, in unmittelbarer Nähe von Bentons Wohn- und Arbeitsplatz. Wenn die Forschenden herausfinden, warum diese Art von frischen – und nicht verdorbenen – Früchten angezogen wird, ist es vielleicht möglich, sie von den Anbauflächen zu vertreiben oder von den Ernteerträgen wegzulocken.

"Von unserer Grundlagenforschung ist es nur ein kleiner Schritt hin zur praktischen
Anwendung. Unsere Ergebnisse helfen vielleicht, nicht nur landwirtschaftliche Plagen zu verhindern. Sie können möglicherweise auch menschliche Krankheiten wie Malaria, Denguefieber und Schlafkrankheit eindämmen helfen, die von blutsaugenden Insekten wie Stechmücken und Tsetsefliegen übertragen werden."

Eine Auszeit am Labortisch

Benton freut sich über seine glückliche Arbeitssituation. Für ihn ist die Schweiz
einer der besten Orte für Grundlagenforschung. Er lobt nicht nur die Finanzierung,
sondern auch die Möglichkeit einer festen Anstellung. Diese gebe den Wissenschaftlern eine Stabilität, die anderswo in Europa schwer zu finden ist.
Er schätzt auch die Lebensqualität und die Pünktlichkeit des öffentlichen Verkehrs
in Lausanne. Benton, der sich überlegt, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu beantragen, hat sogar Gefallen am Skifahren gefunden: "Zurzeit sind meine Skikünste etwa so gut wie mein Französisch."

Frustriert ist Benton, dass er seinen Studenten keine akademische Karriere in der Wissenschaft garantieren kann, weil freie Stellen fehlen. Was die Geschlechterungleichheit betrifft, sind er und seine Frau sich über die Schwierigkeit einig, die Betreuung kleiner Kinder mit zwei Vollzeitstellen unter einen Hut zu bringen. Es sei wichtig, nicht an althergebrachten Familienbildern festzuhalten. "Zu Hause ist es meine Frau, die Löcher bohrt und die Steuererklärung ausfüllt, während ich mich meistens um die Wäsche und das Kochen kümmere", erklärt Benton.

"Bei der Arbeit übernehme ich verschiedene Rollen: Ich bin Mentor, Lehrer, Verwaltungsangestellter und Kollege." Aber in erster Linie betrachtet Benton sich als
Forscher. Sein Traum-Sabbatical wäre, einfach Zeit am Labortisch zu verbringen – aus reiner Freude an der Wissenschaft.

Chantal Britt ist eine freischaffende Journalistin.

Video-Interview mit Richard BentonExternal Link Icon

Richard Benton

Der Träger des nationalen Latsis-Preises 2015 Richard Benton (38) untersucht seit 2007 die Sinneswahrnehmung von Fruchtfliegen an der Universität Lausanne. Nach dem Doktorat an der Universität Cambridge war der Brite an der Rockefeller-Universität in New York. Er wurde 2012 mit dem Friedrich-Miescher- Preis ausgezeichnet, der Preis wurde 2014 seiner Frau Sophie Martin verliehen.