Multilaterale Wissenschaft

Bereits jede zwölfte publizierte Studie kommt aus China. Die beispiellose Zunahme der Forschungsarbeiten aus Asien hat die bisherige Ordnung der Wissenschaft schon ins Wanken gebracht.

(Aus "Horizonte" Nr. 108 März 2016)​​​

​Bei diesem Wettbewerb um Erkenntnisse kann die autoritäre Haltung bestimmter Staaten ein Vorteil sein, da sie eine rasche Umsetzung landesweiter Programme ermöglicht. Beispiel sind die personalisierte Medizin und das Klonen in China, die "kreative" Wirtschaft in Südkorea oder auch glänzende technische Institute in Saudi-Arabien.

Diese Länder setzen auf die Wissenschaft und investieren massiv in Forschung und Entwicklung. Sie erarbeiten dabei ihre eigenen Strategien, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Einige gewähren der Forschung in den Life Sciences grössere regulatorische Freiräume. Andere konzentrieren sich auf die angewandte Forschung, indem sie Partnerschaften zwischen öffentlichen Einrichtungen und der Privatwirtschaft fördern, oder sie scheuen keinen finanziellen Aufwand, um Forschende aus den weltbesten Universitäten und Letztere für den Aufbau eines Offshore-Campus vor Ort anzulocken. Für die westliche Forschungsförderung können diese Modelle eine Herausforderung bedeuten, manchmal auch eine Inspiration.

Die neuen Kräfte sind vorerst noch stark auf die angewandte Forschung ausgerichtet. Sie übergehen die Geistes- und Sozialwissenschaften weitgehend und überhören nicht selten kritische Stimmen. Dieser utilitaristische Ansatz ist beunruhigend. Er nimmt bereits Einfluss auf die neue Weltordnung der Wissenschaft, wenn darin eine diametral entgegengesetzte ethische Haltung zum Ausdruck kommt – zum Beispiel, wenn ein chinesischer Forscher nach einem Abendessen mit mehr als einem Glas guten Weins prophezeit: "Wir werden vor euch einen Menschen klonen!" Wir sollten darauf nicht zu selbstsicher reagieren, sondern uns überlegen, wie wir mit den Folgen einer globalisierten, multilateralen Wissenschaft umgehen wollen.

Daniel Saraga, Chefredaktion