Ist Glyphosat krebserregend?

Das meistgenutzte Herbizid weltweit ist Glyphosat. Obschon es in der Unkrautbekämpfung wichtig ist, sind die möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit unter Wissenschaftlern heftig umstritten.

(Aus "Horizonte" Nr. 108 März 2016)​​​

Ja - sagt Christopher Portier, Forscher für Umweltgesundheit.

Wie stichhaltig sind die Belege für ein erhöhtes Krebsrisiko bei Personen, die Glyphosat über längere Zeit ausgesetzt sind? Die Antwort basiert auf drei Säulen: Belege beim Menschen, bei Labortieren und für einen molekularen Mechanismus, wonach das Herbizid Krebs auslösen kann.

26 Krebsstudien mit Menschen, die Glyphosat-Formulierungen ausgesetzt waren, fanden grösstenteils keinen Zusammenhang. Neun dieser Studien untersuchten das Non-Hodgkin-Lymphom. Vier Fall-Kontroll-Studien wiesen zusammengenommen eine Verbindung zwischen dem Krebs und dem Herbizid auf – so auch zwei weitere Kontrollstudien. Die qualitativ hochstehenderen Studien berücksichtigten die zusätzliche Belastung durch andere Pflanzenschutzmittel und bestätigten den Zusammenhang trotzdem. Dieser wurde stärker, je länger die Menschen Glyphosat ausgesetzt waren. Andere Störfaktoren und Verzerrungen konnten nicht ausgeschlossen werden. Das Fazit: Beim Menschen existiert ein Zusammenhang zwischen den Glyphosat-Formulierungen und dem Non-Hodgkin-Lymphom – eine Kausalität konnte aber nur beschränkt belegt werden.

Es wurden fünf Laborstudien mit Mäusen und neun mit Ratten durchgeführt. Sämtliche Mäusestudien wiesen ein erhöhtes Tumorwachstum an mindestens einer Stelle auf. Drei der Studien zeigten eine Zunahme von Nierentumoren, die bei Mäusen äusserst selten vorkommen; zwei eine Zunahme von Blutgefässtumoren und weitere zwei eine Zunahme von bösartigen Lymphomen. Bei den Ratten wurden, bis auf eine Häufung von gutartigen Tumoren, keine Auswirkungen festgestellt. Das Fazit: Glyphosat verursacht bei Labormäusen verschiedene Tumore.

Zum molekularen Mechanismus zeigen die öffentlich zugänglichen Daten, dass Glyphosat und Glyphosat-Formulierungen sowohl in menschlichen und tierischen Zellen also auch in Labortieren DNA-Schäden hervorrufen – bisher aber nicht in Bakterienzellen. Zwei Studien wiesen DNA-Schäden in Blutzellen von ausgesetzten Personen nach, die Glyphosat-Formulierungen ausgesetzt waren. Das Herbizid und seine Formulierungen erzeugten in menschlichen und anderen Zellen freie, DNA-schädigende Sauerstoffradikale. Das Fazit: Es gibt tatsächlich Belege für einen krebserregenden Mechanismus durch Glyphosat.

Aufgrund all dieser Informationen ist es vernünftig davon auszugehen, dass eine längere Exposition gegenüber Glyphosat und Glyphosat-Formulierungen für Menschen wahrscheinlich krebserregend ist.

Nein - sagt Jose Tarazona von der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde.

Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) überprüfte kürzlich das toxikologische Profil von Glyphosat und hat zwei neue toxikologische Referenzwerte zur Risikobeurteilung vorgeschlagen. Die EFSA hat jedoch die Einstufung von Glysophat als wahrscheinlich krebserregend durch die International Agency for Research on Cancer (IARC) nicht bestätigt.

Die IARC fand "beschränkte Belege im Menschen" für einen Zusammenhang von Glyphosat und dem Non-Hodgkin-Lymphom. Für die EFSA sind die Belege für diese Klassifizierung unzureichend. Da diese Humanstudien allein nicht genügen, um festzustellen, ob Glyphosat krebserregend ist, war die Auswertung der Tests mit Labortieren entscheidend. Dies führte zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen durch die EFSA und die IARC.

Die IARC beobachtete signifikante Tendenzen in von der Industrie finanzierten Berichten. Die EFSA untersuchte die gesamte aktuelle und umfassende Datenbank für Kanzerogenitätsstudien bei Tieren, fand jedoch keinen wesentlichen Unterschied zwischen Kontroll- und Behandlungsgruppen in den verlässlichen Untersuchungen. Eine Überprüfung der biologischen Relevanz der beobachteten Fälle durch die EFSA hat ergeben, dass die statistischen Tendenzen von Verzerrungen durch eine sekundäre Toxizität bei hohen Dosen herrühren oder Zufallsresultate waren, die keinen Zusammenhang mit Glyphosat hatten.

Dass übermässige Toxizität sich in Bioassays als krebserregend erweist, ist bekannt. Die Toxizität kann zum Zelltod und zu damit verbundener regenerativer Zellwucherung führen. Dies kann wiederum eine Tumorbildung als sekundäre Folge haben, steht jedoch in keinem Zusammenhang mit dem intrinsischen Potenzial der Substanz, bei tieferen, weniger toxischen Dosen Krebs auszulösen.

Die beobachteten Fälle lagen innerhalb der bekannten Werte bei unbehandelten Tieren. Die Laborwerte zeigten keine Dosis-Wirkungs-Beziehung und konnten von gleichwertigen Studien mit ähnlicher oder höherer Dosis nicht bestätigt werden. Neben den fehlenden statistisch signifikanten Unterschieden zu den Kontrollen waren auch die Tumorraten biologisch nicht relevant.

Die EFSA schliesst daraus, dass durch Glyphosat hervorgerrufene DNA-Schäden unwahrscheinlich sind, wie bereits zahlreiche Studien bestätigten. Glyphosat-Formulierungen mit anderen Substanzen zeigten jedoch Wirkungen. So gab ein Tensid, das in diesen Mischungen häufig verwendet wird, Anlass zu Bedenken. Die EFSA empfiehlt, den Einfluss von Formulierungen auf DNA weiter zu untersuchen.

Christopher Portier ist ehemaliger Direktor des US National Center of Environmental Health. Er lebt in der Schweiz und ist Verfasser eines offenen Briefs an die EU-Kommission, der von 95 internationalen Wissenschaftlern unterschrieben wurde.

Jose Tarazon ist Leiter des Fachbereichs Pestizide an der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) und Vizepräsident des Wissenschaftlichen Ausschusses "Gesundheit und Umweltrisiken" der Europäischen Kommission.