Auf der Suche nach dem optimalen Gras

Bei Weizen, Mais und Reis haben Pflanzenzüchter mit ertragreicheren Sorten die so genannte grüne Revolution ermöglicht. Erfasst diese bald auch das Gras auf den Wiesen und Weiden? Von Ori Schipper

​Das des Nachbarn ist zwar grüner als das eigene, aber sonst machen sich die meisten Menschen nicht viele Gedanken darüber, wie das Gras wächst. Dabei bestehen gute zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Schweiz aus Wiesen und Weiden. Das Graswachstum ist also zumindest wirtschaftlich gesehen ein Faktor, den es zu berücksichtigen – und womöglich zu optimieren – gilt.

Denn ein knappes Fünftel des Grünlands gehört zu den so genannten Kunstwiesen, die (im Gegensatz zu den Dauerwiesen) in die ackerbauliche Fruchtfolge integriert sind und regelmässig mit Futtergräsern angesät werden. Das Saatgut der wichtigsten Gräserarten wird durch Züchtung stetig weiterentwickelt. Doch während Züchtungserfolge bei Getreidearten wie etwa Weizen, Mais oder Reis zu spektakulären Ertragssteigerungen führten und als grüne Revolution ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen sind, bleiben die Zuchtfortschritte bei den Futtergräsern bescheiden.

Dabei dürften beim Getreide und beim Futtergras dieselben Faktoren für die Ertragssteigerungen ausschlaggebend sein. Die Hauptrolle spielt die so genannte Hybridzüchtung. Wieso Hybridpflanzen bedeutend besser und stärker wachsen als ihre ungekreuzten Artgenossen, wird nur ansatzweise verstanden. Die Wissenschaft spricht vom "Heterosis-Effekt".

Gen gegen Gräser-Inzucht gefunden

Auch Bruno Studer, SNF-Förderprofessor am Institut für Agrarwissenschaften der ETH Zürich, kann nur spekulieren, worauf dieser Effekt gründet. Hybriden stammen von genetisch unterschiedlichen Eltern ab. Deshalb weisen sie ein Maximum an verschiedenen Genvarianten auf. "Das verschafft ihnen eine grosse Plastizität. So können sie sich optimal auf viele verschiedene Umweltbedingungen einstellen", vermutet er.

Mit seinem Team ist ihm kürzlich ein grosser Schritt in Richtung der Hybridzüchtung von Futtergräsern gelungen. Die Forschenden haben ein Gen gefunden, das die Selbstbefruchtung verhindert – und somit auch die Herstellung von den für die Hybridzüchtung wichtigen Inzuchtlinien. Das Gen verunmöglicht den Pollen des Grases, auf der Narbe der weiblichen Blüte derselben Pflanze einen Pollenschlauch zu bilden.

Für seine Arbeiten über die Selbstinkompatibilität wurde Studer an der diesjährigen Konferenz der deutschen Gesellschaft für Pflanzenzüchtung der Wricke-Preis verliehen. Die Entdeckung des S-Lokus genannten Gens beim Englischen Raigras (Lolium perenne) ist für die Futtergraszüchtung ein Meilenstein. "Erst mit diesem Wissen lassen sich Züchtungskonzepte in die Realität umsetzen, die schon vor Jahrzehnten ersonnen wurden", sagt Studer.

Als ein mögliches Konzept schweben ihm genetische Marker vor, die den Züchtern Auskunft geben, welche Pflanzen sich miteinander kreuzen lassen. "Wenn wir die Pollination-Befruchtung innerhalb von Züchtungspopulationen steuern können, nutzen wir natürliche Prozesse aus, um mit dem Heterosis-Effekt den Ertrag von Futtergräsern deutlich zu steigern, ohne an genetischer Vielfalt einzubüssen."
In der neuen Erkenntnis sieht auch Beat Reidy, Futterbau-Experte an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften in Zollikofen, ein grosses Potenzial. Ob sich die erhofften Fortschritte realisieren lassen, werde sich in den nächsten Jahrzehnten weisen, gibt er zu bedenken.

Ori Schipper ist Wissenschaftsredaktor in Bern.

C. Manzanares et al.: A Gene Encoding a DUF247 Domain Protein Cosegregates with the S Self-Incompatibility Locus in Perennial Ryegrass. Molecular Biology and Evolution (2015)