Karrierepläne, Konferenzen und Kindergeburtstage

Es gibt viele Wege, eine wissenschaftliche Karriere mit dem Familienleben zu kombinieren. Wir stellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihre Familienmodelle vor, vom Doppelkarrierepaar bis zur Auslandpendlerin. Sie alle stehen vor derselben Aufgabe: Sitzungen, Kinderbetreuung und Steuererklärungen so koordinieren, dass es allen Beteiligten gut geht. Von Pascale Hofmeier. Illustrationen: Aurel Märki

(Aus "Horizonte" Nr. 110 September 2016)​​​

Die Kultur wandelt sich nur langsam

Was hat sich in 15 Jahren Gleichstellungsarbeit in der Wissenschaft verändert? Die Zahlen zeigen: Etwas, aber noch zu wenig.

Wissenschaftlichen Talenten ist spätestens nach der Dissertation klar: Eine akademische Karriere ist selten ohne Nachtschichten, Wochenendarbeit, längere Forschungsaufenthalte im Ausland, befristete Stellen oder tiefe Einstiegslöhne zu haben. Der hohe Einsatz bei unklaren Erfolgsaussichten hält viele ab, es überhaupt zu versuchen – insbesondere Frauen, die eine Familie gründen möchten. Denn noch immer stehen Wissenschaftlerinnen "häufig unter einem grösseren Druck, Beruf, Partnerschaft und Familie zu vereinbaren, als ihre männlichen Kollegen – und dies beeinflusst auch ihre Chancen auf eine akademische Karriere", bringt es der Bericht "Doppelkarrierepaare an Schweizer Universitäten von 2012" auf den Punkt. Der Bericht evaluiert die dritte Phase des Bundesprogramms Chancengleichheit von Mann und Frau an den Schweizer Universitäten. Das Programm läuft seit dem Jahr 2000, nun unter der Leitung von Swissuniversities, und erhält jährlich mehrere Millionen Franken.

Romandie hat Vorsprung

Seither wurden an den Universitäten Strukturen wie Gleichstellungsbüros aufgebaut und Aktionspläne zur Chancengleichheit erarbeitet. Die Krippenplätze an den Universitäten wurden ausgebaut, zum Teil gar verdoppelt. Mentoringprogramme sowie spezifische Postdoc-Förderprogramme für Frauen wurden aufgebaut. Auch der Schweizerische Nationalfonds engagiert sich seit 2001 für eine chancengleiche Projekt- und Karriereförderung, zum Beispiel mit Gleichstellungsbeiträgen und seit 2013 auch mit Entlastungsbeiträgen für Frauen und Männer mit Betreuungsaufgaben. Unzählige Evaluationen und Berichte rapportieren die Anstrengungen der vergangenen 15 Jahre.

Der Effekt der vielen parallelen Massnahmen: Seit dem Jahr 2002 hat sich der Anteil der Professorinnen fast 10 Prozent auf knapp 20 Prozent im Jahr 2013 verdoppelt. Im europäischen Vergleich liegt die Schweiz damit im unteren Mittelfeld. 2015 waren an den Schweizer Unis fast 37 Prozent der Neuangestellten Professorinnen.

Fest steht damit: Die Schweiz hat ihr Ziel von 25 Prozent Professorinnen bis 2016 verfehlt. "Es war für die Schweiz nicht ganz realistisch", sagt Martina Weiss, Generalsekretärin von Swissuniversities. Das Bundesamt für Statistik prognostiziert, dass dieses Ziel frühestens 2023 erreicht wird. Weiss warnt davor, nur diese eine Zahl als Messlatte zu nehmen. Aussagekräftiger sei, die Hochschulen mit sich selber zu vergleichen und nach Fachbereich zu differenzieren. Zum Beispiel habe die Universität St. Gallen seit 2000 den Anteil der Frauen verdreifacht – er liegt heute bei knapp 13 Prozent. Zudem liege auf der Stufe Assistenzprofessur das Ziel von 40 Prozent in Reichweite. Die Fortschritte seien insbesondere in den Fächern mit einem hohen Frauenanteil sichtbar, also bei den Geistes- und Sozialwissenschaften. "Dort liegt der Anteil Professorinnen zum Teil bei 50 Prozent", sagt Weiss. Auch habe die Romandie gegenüber der Deutschschweiz etwas Vorsprung. Die Frauen arbeiten dort oft 80 Prozent. Ein weiterer Grund für den höheren Anteil Professorinnen in der Westschweiz: An der Universität Genf wurde eine Zielvorgabe von 30 Prozent Frauen auf den Shortlists in den Berufungsverfahren eingeführt. Wird diese nicht erreicht, muss sich eine Fakultät vor der Unileitung rechtfertigen. Die Universität Lausanne plant dies ab 2017.

Ohne eisernen Willen kein Weg

Insgesamt haben sich die Erfolgschancen von Frauen in der Wissenschaft in den letzten gut 15 Jahren also ein wenig verbessert – und gleichzeitig auch die Bedingungen, um Familie und akademische Karriere zu vereinbaren. Dennoch dringt der Kultur- und Organisationswandel nur langsam auf Institutsebene durch: "Hier braucht es noch Geduld", sagt Weiss. Eine Universitätsleitung könne zwar signalisieren, dass sie zum Beispiel Teilzeitarbeit und Jobsharing fördert. Umsetzen aber können dies nur die Vorgesetzten in den Fakultäten und Instituten.

Genau dort besteht mehr Handlungsbedarf: "Die jungen Forscherinnen fordern ihr Recht nach Förderung und Teilzeitarbeit oft nicht ein, weil die Vorgesetzten auch ihre Forschungspartner sind", sagt Patricia Felber. Die Sozialgeografin ist Koordinatorin mehrerer Mentoringprogramme und Autorin des Berichts "Einschätzung der Karrieresituation von Nachwuchswissenschaftlerinnen in der Schweiz" der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Hinzu komme die Diskrepanz zwischen dem Pensum auf dem Papier und dem Einsatz, der informell gefordert werde – eine Hürde für junge Familien und mit ein Grund, warum die Koordination von Karriere und Familie noch immer sehr viel Willen und Kreativität erfordert.

"Es wäre an der Zeit, die akademische Karriere zu entmystifizieren", sagt Felber und meint damit die Kultur, die bei vielen zu einem schlechten Gewissen führt, wenn sie um 17 Uhr in den Feierabend gehen. Sie spricht aus, was sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht zu denken wagen: "An der Uni zu arbeiten ist auch nur ein Job."

Pascale Hofmeier ist Wissenschaftsredaktorin des SNF.