"Wenn man etwas nicht wissen will, erhebt man keine Daten"

Die Rohstoffbranche in der Schweiz ist rasant gewachsen. "Viel weiss man nicht über sie", sagt Rechtsanwältin Elisabeth Bürgi Bonanomi. Von Marcel Hänggi

(Aus "Horizonte" Nr. 110 September 2016)​​​

Frau Bürgi, die Rohstoffbranche wird in der Schweizer Politik heiss diskutiert. Was wissen wir wirklich über diesen Sektor?

Die Schweiz ist der grösste Handelsplatz für Rohstoffe. Es ist seit langem bekannt, dass Rohstoffreichtum den Entwicklungsländern oft schadet: Die Wirtschaft ist sehr einseitig ausgerichtet, es fehlt eine verarbeitende Industrie, und postkoloniale Abhängigkeiten dauern fort. Diese Länder können ihre Situation nur verbessern, wenn auch die Staaten ihre Verantwortung wahrnehmen, in denen die Rohstoffkonzerne ihren Sitz haben. Es sind die Sitzstaaten, die Geldabflüsse ermöglichen oder mit Subventionen und Zöllen die Märkte zu ihren Gunsten verzerren. Wenn man hier genauer hinblickt, merkt man, dass gesichertes Wissen fehlt: Die Finanzflüsse verlaufen versteckt, keine offizielle Statistik erfasst die Handelsdaten umfassend, und keine weist aus, wie viele Steuern der Sektor in der Schweiz zahlt.

Warum ist die Datenlage so schlecht?

Wenn man etwas nicht unbedingt wissen will, erhebt man keine Daten …

Fehlt also eher der politische Wille als wissenschaftliches Wissen?

Es fehlt an beidem. Natürlich braucht es politischen Willen, um etwas zu verändern. Aber die Forschung, wie wir sie verstehen, kann einen wichtigen Beitrag leisten. Wir nehmen bewusst eine Nachhaltigkeitsund Entwicklungsperspektive ein. In den letzten Jahren ist klar geworden, dass es nicht genügt, in den Entwicklungsländern zu forschen. Gerade die Frage der Steuervermeidung ist absolut zentral. Da stehen wir erst am Anfang.

Wie sähe ein guter Rohstoffsektor aus?

In den Extraktionsländern könnten die Betroffenen mitbestimmen: Was wird abgebaut, was geschieht mit den Einnahmen und so weiter. Es gäbe eine verarbeitende Industrie vor Ort. Menschenrechte und Umweltverantwortung würden ernst genommen. Die Unternehmen zahlten ihre Steuern dort, wo die Wertschöpfung stattfindet, und alle Beteiligten hätten Zugang zu einem funktionierenden Gerichtssystem. Verlierer gibt es immer, aber es dürfen nicht die Verletzlichsten sein.

Marcel Hänggi ist freier Wissenschaftsjournalist.

Die Schweiz und der Rohstoffhandel. Swiss Academies Factsheets (2016)Den Rohstoffsektor in Entwicklungsländern nachhaltig gestalten. Swiss Academies Factsheets (2016)

Die Wirtschaftsethikerin

Die Rechtsanwältin Elisabeth Bürgi Bonanomi forscht am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Sie koordinierte eine Literaturstudie zum Rohstoffhandel des CDE, des World Trade Institute der Universität Bern und des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen.

Die Politik bewegt sich

In den letzten Jahren stieg die Aufmerksamkeit für die negativen Folgen des Rohstoffgeschäfts. Namentlich das Buch "Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz" (Zürich 2011) der Erklärung von Bern hat das Bewusstsein geweckt. Der Bundesrat hat 2013 einen "Grundlagenbericht Rohstoffe" vorgelegt. Die anstehende Aktiengesetzrevision soll strengere Transparenzregeln bringen. Schliesslich macht die im April 2016 eingereichte Konzernverantwortungsinitiative politisch Druck. Die Schweizerischen Akademien der Wissenschaften organisieren am 20. September in Bern eine Tagung zur Transparenz im Rohstoffhandel.