Eine kurze Geschichte der Schweizer Kooperationsforschung

(Aus "Horizonte" Nr. 111 Dezember 2016)​​​

1776

Der Schweizer Johann Wäber segelt als offizieller Expeditionsmaler mit James Cook um die Welt. Es ist die dritte Weltumsegelung des Briten, der die ersten modernen wissenschaftlichen Entdeckungsreisen unternimmt. Hinter den Reisen stehen aber auch handfeste ökonomische Interessen: Es geht um das Optimieren der Handelswege und der florierenden Plantagenwirtschaft im Süden. Wäber wird seine ethnografische Sammlung vor seinem Tod der Stadt Bern vermachen – es ist der Gründungsakt des Bernischen Historischen Museums.

Nicht allen "entdeckten" Gesellschaften wird umgehend der westliche Stempel aufgedrückt. Gerade China ist dem Westen wissenschaftlich überlegen, die Entdeckungsreisenden übernehmen sehr viel Know-how und bringen es mit nach Hause.

Das Amalgam aus lokalem und mitgebrachtem Wissen, beispielsweise in der Medizin, bezeichnet man heute als "Pidgin Knowledge": die Hierarchien des Wissens spiegeln nicht zwingend die Herrschaftsverhältnisse. So funktioniert die britische Ostindien-Kompanie nur, weil die Verwaltung auf die Kenntnisse zahlreicher lokaler Experten baut.

Erst im folgenden Jahrhundert wird die britische Herrschaft auch in technisch-wissenschaftlicher Hinsicht dominant. In der Wissenschaftsgeschichte wird diese Entwicklung unter dem Stichwort "Tools of Empire" diskutiert: westliches Wissen wäre demnach mitverantwortlich nicht nur für die Beherrschung, sondern in der Folge auch für die Unterentwicklung der Dritten Welt.

1815

Die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft (SNG, später Akademie der Naturwissenschaften Schweiz) wird gegründet. Zunächst konzentriert sich der Aktionsradius der Gesellschaft auf die Schweiz. Doch die Faszination des Exotischen wächst, auch für Forschende. Die überlegene, observierende Position paart sich mit einer Verklärung des Primitiven als Hort der Unschuld. Beispielhaft dafür sind die Celebes-Expeditionen in Indonesien der Basler Fritz und Paul Sarasin Ende des 19. Jahrhunderts. Die Vetter sind heute vor allem als einflussreiche Natur- und Völkerkundler und Nationalparkgründer in Erinnerung, doch waren die Expeditionen eng verstrickt mit den Kolonialherren und dienten deren Interessen.

Mit dem Protestantismus der neuen Kolonialmächte und damit einhergehend einem sich wandelnden Bild der Sklaverei kommt der Entwicklungsgedanke auf. Es konstituiert sich das Selbstverständnis des zivilisierten und fortschrittlichen Europäers gegenüber unterentwickelten Gesellschaften und damit allmählich auch eine neue moralische Richtschnur, "The white man's burden": Eroberte Länder dürfen nicht einfach nur ausgebeutet werden, man muss sie "entwickeln".

1943

Der Naturwissenschaftler, Anthropologe und Fabrikantensohn Rudolf Geigy gründet das Schweizerische Tropeninstitut, zu Beginn ein methodologisches und thematisches Sammelsurium unter dem noch wenig klar umrissenen Begriff der "Tropen".

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Schweiz in ungemütlicher politischer Lage: Neutralität wird zum Reizwort im internationalen Kontext, der Schweiz wird ihr Opportunismus im Krieg vorgeworfen. Als Reaktion entwickelt sich eine neue aussenpolitische Maxime: Neutralität und Solidarität.

Präsident Harry Truman gibt in seiner Antrittsrede 1949 mit einem wissenschaftspolitischen Manifest ("Point Four") den Startschuss der globalen Entwicklungshilfe: "Wir müssen ein mutiges neues Programm in Angriff nehmen, mit dem wir die Vorteile unserer wissenschaftlichen und industriellen Fortschritte für die Verbesserung und das Wachstum in wenig entwickelten Gegenden nutzen. Erstmals in der Geschichte besitzt die Menschheit das Wissen und die Fähigkeiten, die Not dieser Menschen zu lindern." Leitbegriff dieser Position wird die "Technische Hilfe".

1950

Die Schweiz unterstützt das Expanded Program of Technical Assistance (EPTA) der Uno und sendet Schweizer Ingenieure in Länder Asiens und Lateinamerikas. Gleichzeitig etabliert die SNG eine Forschungsstation in Adiopodoumé (Elfenbeinküste), fünf Jahre später folgt das Swiss Tropical Institute Field Laboratory in Ifakara (Tansania). Das Ziel ist, Forschung direkt in der Dritten Welt zu betreiben, unter Beteiligung der lokalen Bevölkerung – zunächst paternalistisch, dann immer mehr partnerschaftlich. Trotz dieser Entwicklung bleiben Institutionen dieser Art in der Folge mit dem Vorwurf konfrontiert, als Sprungbretter zum Braindrain beizutragen.

1988 lancieren die Akademien der Naturwissenschaften die Idee der Forschungspartnerschaft mit Entwicklungsländern, bereits 1994 folgt die Einrichtung einer ständigen Kommission für solche Partnerschaften (KFPE).

Im Lauf der zweiten Jahrhunderthälfte gibt es in der Entwicklungshilfe einen bedeutenden ideologischen Wandel – es wachsen Zweifel am "Fortschritts-Export" zum Wohl der Entwicklungsländer. Als wichtiger Auslöser gilt Garrett Hardins Essay über die "Tragedy of the Commons" (1968): Demnach werden frei verfügbare, aber begrenzte Ressourcen durch vom Westen induzierte Effizienzsteigerung zwangsläufig übernutzt.

2001

Der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) "Nord-Süd" startet, womit auch der Bund die Bedeutung von Forschungspartnerschaften mit dem Süden unterstreicht. Der NFS bringt Forschende aus sechs schweizerischen Forschungsinstitutionen und rund 140 Partnerinstitutionen in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammen und erarbeitet in dieser engen Zusammenarbeit konkrete Lösungen für ökonomische, soziale und ökologische Krisenfelder.

Private Stiftungen spielen eine immer zentralere Rolle als Impuls- und Geldgeber bei der Erforschung von Problemfeldern der Dritten Welt, vor allem in Sachen Medizin und Ernährung. Nach gut 50 Jahren erreichen Organisationen wie die Nestlé Foundation for the Study of Problems of Nutrition in the World (seit 1965) und die Basel Foundation for Developing Countries (seit 1961, heute: Novartis Foundation)nun eine "kritische Masse" und sorgen für Kontroversen: Liegen die entscheidenden wissenschaftspolitischen Weichenstellungen noch in der Hand von Regierungen und internationalen Organisationen?

Roland Fischer ist freier Wissenschaftsjournalist in Bern.