Das Geheimnis der glücklichen Paare

Alle haben eine Meinung zu Liebe und Beziehungsleben. Paare im Labor systematisch zu beobachten und zu befragen ergibt fundiertere Antworten. Die Forschung kennt gar einige Formeln für die Liebe. Von Susanne Wenger

(Aus "Horizonte" Nr. 113 Juni 2017)​​​

​Traute Zweisamkeit in inniger Verbundenheit, möglichst ein Leben lang – danach sehnen sich die meisten Menschen. Trotz steigenden Scheidungsraten und wachsendem Individualismus. Dabei sind die Vorstellungen einer auf Liebe gründenden Partnerschaft historisch gesehen ziemlich jung: Das romantische Konzept setzte sich im 19. Jahrhundert durch. Noch jünger ist die Forschung dazu. Erst seit den 1970er Jahren wird erkundet, was Paare zusammenhält oder auseinandertreibt. Vorher waren Trennungen meist schlicht keine Option. Man blieb zusammen, aus ökonomischen Gründen und weil gesellschaftliche und kirchliche Konventionen es so wollten.

Heute ist das anders. Wie praktisch wäre es also, die wissenschaftlich erhärtete Formel für lang andauerndes Liebesglück zu kennen. Doch da kann die Forschung nur beschränkt dienen. "Die Phase der Verliebtheit dauert in der Regel etwa ein halbes Jahr", weiss Alexander Grob, Professor für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Basel. Danach lege man die rosarote Brille ab und sehe das Herzblatt in einem realistischeren Licht: "Und ab da wird es unglaublich komplex. " Je nach Konstellation und Lebensumständen ergeben sich die vielfältigsten Wechselwirkungen.

Ein wichtiger Faktor ist die Persönlichkeit. Grob hat untersucht, wie die Wesenszüge der Partner und positives Empfinden in der Beziehung zusammenhängen. Resultat: "Emotional stabile, extravertierte, gewissenhafte und sozial verträgliche Menschen mit hohem Selbstwertgefühl erleben Partnerschaften zufriedener." Besonders wirksam unter den genannten Eigenschaften sind jene, die in der Psychologie mit dem Begriff Neurotizismus zusammengefasst werden: Je emotional labiler, angespannter und ängstlicher das Naturell, desto geringer das Liebesglück. Je stabiler, selbstsicherer und ruhiger dagegen die Persönlichkeit, desto grösser die Chance auf erfülltes Beisammensein.

Haben also die Nervösen, die Schüchternen und Introvertierten die schlechteren Karten? Der Psychologe verneint: "Wir sind unserer Persönlichkeit nicht einfach ausgesetzt, sondern können unser Denken und Handeln auch verändern." Emotional instabile Menschen, die in uneindeutigen Situationen der Partnerschaft sofort das Schlimmste annehmen – "er/sie liebt mich nicht mehr!" –, könnten sich dieses Verhaltens bewusst werden und versuchen, es zu ändern oder abzumildern. "Wenn negative Interpretationen abnehmen, nimmt die emotionale Stabilität zu." Der Effekt: Man erlebt die Beziehung glücklicher.

Macht es wie Michelangelo

Partner können aneinander wachsen. Menschen mit geringem Selbstwertgefühl erleben sich an der Seite eines zufriedenen Menschen auf die Dauer positiver, sagt Grob. Mehr noch: Paare, die sich gegenseitig dabei unterstützen, das Beste in jedem zum Vorschein zu bringen, leben besonders glücklich und lange zusammen. Das haben US-Forscher um den Psychologen Eli Finkel herausgefunden. Sie nennen es das Michelangelo- Phänomen. Der berühmte Renaissance-Bildhauer vertrat die Haltung, dass in jedem Marmorblock schon das Kunstwerk schlummere. Er müsse es mit umsichtigem, aber beherztem Meisseln und Polieren nur noch herausarbeiten. Bezogen auf die Partnerschaft heisst das: Paare sollten sich gegenseitig so formen und fördern, dass dem Gegenüber ermöglicht wird, seine Ideale und Lebensziele zu erreichen. Als Werkzeuge dienen Empathie und Feinfühligkeit. Wer sie mitbringt, ist der bessere "Bildhauer", die bessere "Bildhauerin" in der Beziehung.

Womöglich erfahren wir sogar Neues über uns selbst. Das Auge eines liebevollen Partners erkennt brachliegendes Potenzial. Was hingegen nie funktioniert: die Liebste oder den Liebsten ändern zu wollen. "Wenn mir etwas an meinem Partner nicht gefällt, kann ich lediglich meinen eigenen Umgang damit beeinflussen", sagt Grob. In einem solchen Fall solle man sich fragen, ob und wie der störende Punkt integriert werden kann.

Auch die Art, wie Paare miteinander reden, beeinflusst das Schicksal einer Beziehung nachhaltig. Das sagt Nathalie Meuwly, Psychologin an der Universität Freiburg: "Partnerschaften mit verständnisvoller, wohlwollender Kommunikation sind glücklicher und stabiler." Im Austausch bleiben, aufmerksam zuhören, Lob, Komplimente, kleine Gesten der Wertschätzung und Zuwendung – all dies festigt die Partnerschaft sehr und sollte nicht unterschätzt werden. Es lohne sich, das trotz Alltagstrott ganz bewusst zu pflegen, weiss Meuwly. Und wer bisher den Sex in diesem Artikel vermisst hat: Auch Zärtlichkeit und Erotik ist Kommunikation. Sex stellt – ohne viele Worte – Bindung her.

Kleine Gesten, grosse Wirkung

Positive Kommunikation bedeutet nicht, mit dem Partner stets engelszüngig zu reden. Man soll auch Schwieriges ansprechen und Kritik äussern können. Sogar ein Konflikt hin und wieder schade nicht, solang er nicht in Destruktion und Verachtung kippe, sagt Meuwly: "Durch einen Konflikt lassen sich Positionen klären. Und er bietet Gelegenheit zur Versöhnung." So könnten Intimität und Verständnis zwischen den Partnern wieder neu hergestellt werden. Doch Vorsicht, hier kommt es auf die richtige Mischung an. Die Forschung zeigt: Fünf positive Gesten wiegen eine negative auf. Wer also die Partnerin, den Partner einmal kritisiert, sollte sie oder ihn danach fünfmal Zuneigung spüren lassen. So bleibt die Beziehung im Lot. Doch noch eine kleine Formel! Aufgestellt hat sie ein Pionier der Beziehungsforschung, der US-Amerikaner John Gottman.

Zwei weitere Faktoren, die den Umgang der Partner miteinander betreffen, spielen laut Meuwly eine herausragende Rolle. Erstens: Paare, die sich gegenseitig bei Stress – zum Beispiel Berufsstress – unterstützen können, stabilisieren damit auch ihre Partnerschaft. Zweitens: Konflikte und Probleme gemeinsam zu lösen schweisst Paare ebenfalls zusammen. Bei Stress im Job Support zu geben ist offenbar einfacher, als mit Beziehungsknatsch klarzukommen. "Je nachdem, ob der Stress von aussen an die Beziehung herangetragen wird oder ob er hausgemacht ist, sind andere Kompetenzen gefragt", so Meuwly. Unterschiede zwischen den Geschlechtern hat sie nur wenige gefunden. Frauen unterstützen den gestressten Partner auch dann, wenn sie selbst unter Druck stehen. Männern gelingt das im gleichen Fall weniger gut. Das zeige, so Meuwly: "Wenn beide gestresst sind, wirds gefährlich für die Beziehung."

Vieles bleibt noch zu erforschen. So weiss man erst wenig über betagte oder gleichgeschlechtliche Paare. Was die Forschung herausfindet, kann unsereins konkret helfen. Seit vielen Jahren bietet die Universität Zürich erfolgreich das Partnerschaftsprogramm "Paarlife" an, entwickelt von Guy Bodenmann. Die Liebe sei wie ein Pflänzchen, schreibt der Professor für klinische Psychologie. Sie gehöre gehegt, sonst verkümmere sie.

Susanne Wenger ist freie Journalistin in Bern.

R. Weidmann, Th. Ledermann, A. Grob: The Interdependence of Personality and Satisfaction in Couples. European Psychologist (2016) G. Bodenmann, N. Meuwly et al.: Effects of Stress on the Social Support Provided by Men and Women in Intimate Relationships. Psychological Science Online First (2015)

Liebe messen

In der Partnerschaftsforschung finden sich verschiedene Methoden. Paare werden mit Fragebogen zu Persönlichkeit, Prozessen in der Beziehung und zur Zufriedenheit mit derselben befragt. Manche Teilnehmende führen Tagebuch. Forschende beobachten Paare zudem beim Kommunizieren. Diese erhalten eine Aufgabe, beispielsweise, sich etwas Belastendes der vergangenen Tage zu erzählen, und werden dabei gefilmt. Die Freiburger Psychologin Nathalie Meuwly hat in einem Experiment Paare im Unilabor unter Stress gesetzt. Die Partner mussten getrennt voneinander ein Bewerbungsgespräch durchlaufen und eine mathematische Aufgabe lösen. Danach kamen sie in einem Warteraum wieder zusammen, und die Forschenden filmten, was spontan geschah. Auch physiologische Werte werden gemessen, so das Stresshormon Cortisol in Speichelproben und die Herzrate.