Das Erbgut entrümpeln

Junk-DNA mit Selbstzerstörungsmechanismus: Pantoffeltierchen haben genetische Elemente, die dazu dienen, sich selber zu eliminieren. Von Ori Schipper

(Aus "Horizonte" Nr. 114 September 2017)​​​

​Der grösste Teil des Erbguts von höheren Lebewesen besteht aus Junk-DNA: Das "Gerümpel-Erbgut" enthält keine Baupläne für Proteine. Warum das so ist und welche biologische Bedeutung diese nicht kodierenden Erbgutbausteine haben, darüber diskutieren Forschende seit Jahrzehnten.

Eine Gruppe um Mariusz Nowacki vom Institut für Zellbiologie der Universität Bern hat untersucht, wie Pantoffeltierchen mit diesen oft als parasitisch betrachteten DNA-Sequenzen umgehen. Ihre auf den ersten Blick paradoxe Erkenntnis: Die im Wasser lebenden Einzeller nutzen die genetischen Elemente, um sich dieser Sequenzen selbst entledigen zu können. Das Gerümpel dient sozusagen der Eliminierung des Gerümpels.

Zellkern in 800-facher Ausführung

Pantoffeltierchen eignen sich besonders gut, um die Rolle der Junk-DNA zu untersuchen, weil sie über zweierlei Zellkerne verfügen: einen Mikro- und einen Makronukleus. Im Mikronukleus wimmelt es von nicht kodierenden DNA-Sequenzen. Er beherbergt das Keimbahn-Genom. Dieses wird nicht für die Herstellung von Proteinen verwendet und dient ausschliesslich der sexuellen Fortpflanzung.

Der Makronukleus hingegen enthält mehr als 800 Arbeitskopien des Genoms. Diese sind für die unmittelbaren Bedürfnisse der Pantoffeltierchen optimiert. Um den Makronukleus herzustellen, wird das Erbgut von den Einzellern gleichzeitig vervielfältigt und entrümpelt. Die Kopien enthalten eine kompakte Reinschrift aller Pantoffeltierchen-Gene: Die Junk-Sequenzen sind dort eliminiert. Doch längerfristig sind diese optimierten Kopien instabil. "Deshalb pflanzen sich die Pantoffeltierchen zwischendurch sexuell fort – und setzen anschliessend einen neuen Makronukleus auf", sagt Nowacki. Das Gerümpel muss dann von Neuem entfernt werden.

Bisher vermutete die Wissenschaft, dass die Einzeller die nicht kodierenden DNA-Fragmente, die sie für die Herstellung des neuen Makronukleus aus dem Keimbahn-Genom schneiden, abbauen und vernichten. Ein Irrtum, wie Nowacki und sein Team zeigen konnten: "Die Pantoffeltierchen kleben die eliminierten Fragmente aneinander und formen damit Ringe und Schlaufen", sagt Nowacki. Wenn sie dann diese Junk-DNA-Collagen ablesen, entstehen Suchvorlagen, um im sich vervielfältigenden Erbgut weitere parasitische Elemente auszumachen und zu entfernen.

Rückkopplung fängt Gerümpel ab

Je mehr ausgeschnittene Sequenzen gefunden werden, desto schneller können weitere parasitische Elemente gefunden werden – eine positive Rückkopplung. Diese Art, unerwünschte genetische Elemente abzufangen, um damit nach weiteren Sequenzen im Erbgut zu suchen, findet sich auch in Zellen von Tieren und Pflanzen. Sie können so Teile ihres Erbguts abschalten oder stilllegen. Dies könnte ein Mechanismus sein, der allgemein eine wichtige Rolle spielt in der Verteidigung des Erbguts gegen die Einlagerung von parasitischen Elementen.

Dieser Ansicht ist auch die Evolutionsbiologin Rebecca Zufall, die an der Universität Houston in Texas die Architektur des Erbguts einer dem Pantoffeltierchen verwandten Art erforscht. Sie lobt die Arbeiten aus der Schweiz: "Sie präsentieren ein sauberes Modell einer positiven Rückkopplung und Signalverstärkung, die im Kontext des doppelten Genoms dieser Einzeller einleuchtet."

Ori Schipper arbeitet bei der Krebsliga Schweiz und als freier Wissenschaftsjournalist.

S. E. Allen et al.: Circular Concatemers of Ultra-Short DNA Segments Produce Regulatory RNAs. Cell (2017)