Die "Chaebol" haben das Sagen

Die Wissenschaft liegt in Südkorea in den Händen allmächtiger Konzerne. Das erstickt trotz hoher Investitionen die Innovation. Von Mark Zastrow

(Aus "Horizonte" Nr. 108 März 2016)​​

​Die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye versprach vor ihrem Amtsantritt 2012, die Wirtschaft zu reformieren. Die riesigen Konzerne, die die Entwicklung des Landes antrieben, schienen träge geworden und im Unternehmertum erstickt. Als Antwort darauf versprach Park, Start-ups durch die Bildung einer "kreativen Wirtschaft" zu unterstützen.

Greifbar wird diese Initiative durch regionale Zentren, in denen die Konzerne mit der Industrie sowie Forschungsinstituten zusammenarbeiten, um Start-ups zu fördern. Seit 2014 hat die Regierung 17 solcher Zentren geschaffen, die das Wachstum in den verschiedensten Sektoren ankurbeln sollen, von Smartphones über Schiffbau bis zu Mode.

Dies zeugt vom Bekenntnis für den technokratischen Pfad, den Südkorea an die Weltspitze geführt hat, was den für Forschung und Entwicklung aufgewendeten Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts angeht. "Die Investitionen sind ziemlich einmalig", erklärt Christian Schneider, Leiter des Swiss Science and Technology Office in Seoul.

Was Korea so speziell macht, ist die Art, wie investiert wird: durch die Konzerne, die sogenannten Chaebol. Park versucht diese Säulen der koreanischen Wirtschaft zu repositionieren, aber deren enormer Einfluss auf die Forschung wird nicht so bald verschwinden.

Forschung aus dem Konzernlabor

Die Chaebol bilden das Rückgrat der koreanischen Wirtschaft, seit Militärdiktator Park Chung-hee – der Vater der aktuellen Präsidentin – 1963 durch einen Putsch an die Macht gelangte. Er baute die Wirtschaft rund um seine bevorzugten Familienunternehmen auf, viele davon sind heute Weltmarken wie Samsung, LG und Hyundai.

Erst in den späten 1980 Jahren begannen die Chaebol eine übermächtige Rolle in Forschung und Entwicklung zu spielen, oft durch die Schaffung neuer Universitäten und eigener Laboratorien. So gründete eine Stahlfirma die Pohang University of Science and Technology, die später zur besten Universität für Ingenieurwissenschaften wurde. Samsung folgte mit einem eigenen Labor, dem Samsung Advanced Institute of Technology (SAIT).

"Es war sehr visionär, ein Unternehmensforschungslabor im klassischen Sinn aufzubauen", erklärt Ogan Gurel, Innovationschef am Campus D, an einem Startup- Inkubator in Seoul. Heute finanzierten die Konglomerate vermehrt Grundlagenforschung an den Universitäten, sagt Gurel, der bis 2015 Spartenchef beim SAIT war.

"Die Wissenschaftler bewerben sich bei Samsung, als ob es die Regierung wäre", erklärt Schneider: "Es geht um wirklich viel Geld und es wird in Grundlagenforschung investiert."

Das schaffe einzigartige Möglichkeiten für Akademiker, mit einem direkten Bezug zum Markt zu forschen, sagt Bernhard Egger (Porträt S. 17). Der Computerwissenschaftler an der National University (SNU) kennt beide Seiten dieses industriell-akademischen Nexus: Er doktorierte an der SNU, der besten Forschungsuniversität Koreas, und wechselte 2008 ans SAIT. Dort war er an der Entwicklung des Compilers für den rekonfigurierbaren Prozessor des Unternehmens beteiligt – ein stromsparender Chip, der Videos und Musik auf Samsung- Smartphones dekodiert. Später kehrte er als Professor an der SNU in die akademische Welt zurück, wo er immer noch mit Samsung-Forschern zusammenarbeitet.

Was aus diesem Projekt wird, weiss Egger noch nicht: "Ich denke, Samsung weiss es auch noch nicht. Es ist also wirklich Forschung." Er weist aber auf eine Möglichkeit hin: Im letzten Dezember kündigte Samsung an, in das Rennen um die Entwicklung selbstfahrender Autos einzustegen. "Ich erhalte die Möglichkeit, Projekte umzusetzen, die sich wirklich auf die Industrie auswirken, denen ein echtes Produkt folgt", sagt Egger.

Neu strukturierte Wirtschaft

Statt die Chaebol aufzulösen, versucht Präsidentin Park sie zu überzeugen, Start-ups mit Ausrüstung, Ausbildung und Kapital zu unterstützen. In Daejeon, um eines von vielen Beispielen zu nennen, ist das regionale "Kreativwirtschafts- und Innovationszentrum" auf dem Campus der besten nationalen technischen Universität untergebracht. Der ansässige Konzern ist die SK Telecom, der grösste Mobilfunkanbieter des Landes, der von Studenten lancierte Projekte betreut.

Kritiker sagen, die Kreativwirtschaftszentren hätten noch keine Früchte getragen und nicht die erwünschten Investitionssummen eingebracht. Viele Wirtschaftsexperten argumentieren, dass noch viel drastischere Massnahmen notwendig seien, um die erdrückende Vorherrschaft der Chaebol zu überwinden.

Das hindert Korea aber nicht daran, das Modell in andere Entwicklungsnationen zu exportieren, die dieses gern kopieren und auch bereit sind, dafür zu zahlen: Saudi-Arabien und Brasilien haben bereits Abkommen mit Seoul unterzeichnet, um dessen Kreativwirtschaft zu übernehmen.

Mark Zastrow ist freier Wissenschaftsjournalist in Seoul. Er hat für Nature, Nova, Retraction Watch und New Scientist publiziert.