Legale Fluchtwege könnten Leid verhindern

In Europa und in der Schweiz würden viele angesichts des Flüchtlingsstroms die Grenzen am liebsten schliessen. Migrationsexperten schlagen das Gegenteil vor: offenere Grenzen. Von Pascale Hofmeier

(Aus "Horizonte" Nr. 106, September 2015)
Bild: © Keystone / AP Photo / Emilio Morenatti

​Die EU rechnet 2015 insgesamt mit 900 000 Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten – das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Für Schlagzeilen sorgen insbesondere die Bootsflüchtlinge, die mit seeuntauglichen Booten versuchen, nach Italien, Griechenland und Malta zu gelangen. Weil sie nicht dort bleiben wollen, versuchen sie in andere Länder weiterzureisen, ohne sich im Ankunftsland zu registrieren.

Der wachsendende Strom von Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen macht die Idee, die Grenzen zu schliessen, in Europa und in der Schweiz immer populärer. "Das Hauptproblem der EU ist, dass die Länder eine gemeinsame Politik nur im Versuch finden, ihre Aussengrenze zu stärken", analysiert Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern. Dadurch ist es für Asylsuchende nur noch möglich, auf illegalen und hochgefährlichen Wegen nach Europa zu gelangen, um einen Asylantrag zu stellen.

Sich auf die Sicherung der Grenzen zu konzentrieren entspreche der Staatsräson und basiere auf der Annahme, dass bei offenen Grenzen noch mehr Flüchtlinge kommen würden. "Ob das wirklich so ist, weiss man nicht", sagt Achermann. Es gebe Belege dafür, dass die Auswanderung in gewissen Staaten nach Einführung der Freizügigkeit ansteige, in anderen aber nicht. "Es ist selten das rechtliche Regime, das steuert, sondern meistens die wirtschaftliche Situation." Dies spreche gegen die Bedeutung von Grenzkontrollen als wirksames Mittel, da solche Kontrollen häufig irgendwie umgangen werden könnten.

Beispielsweise seien die Auswirkungen der verstärkten Grenzsicherung an der Grenze Mexiko/USA untersucht worden. Die Resultate legen nahe, dass diese nicht zu weniger Einwanderung, aber zu weniger Rückwanderung geführt hat – weil es schwieriger geworden ist, danach wieder einzureisen. Zu einem anderen Schluss kommen gemäss Achermann verwaltungsnahe Studien westeuropäischer Staaten, die postulieren, ohne schärfere Grenzkontrollen würden mehr Personen einwandern.

Rückweisen ist verboten

Ein Blick zurück in der Geschichte zeigt, dass Landesgrenzen lange relativ offen waren. "Bis Anfangs des 20. Jahrhunderts galt weltweit das Recht auf freie Niederlassung", sagt Achermann. Zu den Ersten, die das beschränkten, gehörten die USA, die 1875 begannen, den Zugang ins Land zu kontrollieren. Das traf ab 1917 auch die per Schiff ankommenden Wirtschaftsmigranten aus Asien und später auch die aus Europa. "Mit diesen Einwanderungskontrollen entstanden die Flüchtlingsprobleme", sagt Achermann. Nun stand der Staat vor der Aufgabe, die Ankommenden zu registrieren und irgendwie unterzubringen.