Latsis-Preis 2025: Saskia Stucki will Tierrechte im Recht verankern
Saskia Stucki, Forscherin und Dozentin an der ZHAW gewinnt den Schweizer Wissenschaftspreis Latsis 2025. Sie erarbeitet die theoretischen Grundlagen für die Anerkennung von Tierrechten.
«Ich beschäftige mich mit Fragen wie: Was sind Rechte? Welche Eigenschaften qualifizieren jemanden oder etwas als Rechtsträgerin? Haben Tiere Rechte oder sollten sie diese haben?» Die Studien von Saskia Stucki haben zur Entwicklung des Tierrechts als eigenständige Disziplin beigetragen und verbinden diese mit den Menschenrechten, dem Klimarecht und dem Umweltrecht. Für ihre wegweisende Arbeit wurde sie mit dem Schweizer Wissenschaftspreis Latsis 2025 ausgezeichnet. Die Nachricht überraschte sie: «Als ich den Telefonanruf erhielt, dachte ich zuerst, dass mir jemand einen Streich spielt», erzählt sie. «Der Preis ist so etwas wie ein offizielles Gütesiegel für meine Arbeit und für die Legitimität dieses noch jungen Forschungsgebiets.»
Die Idee der Tierrechte geht auf das 19. Jahrhundert zurück, ein eigentlicher wissenschaftlicher Zugang zur Thematik existiert jedoch erst seit rund zwanzig Jahren. Stucki ist Rechtswissenschafterin, Dozentin und Forscherin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW und an der Universität Zürich. Sie untersucht «grundlegende philosophische und rechtstheoretische Konzepte wie jene der Rechtsperson, Rechtssubjektivität und Rechte». Mit philosophischen Überlegungen, interdisziplinären Analysen und vergleichenden Methoden identifiziert sie Lücken in bestehenden Rechtssystemen, gleichzeitig entwickelt sie neue Theorien. Sie stellt auch praktische Fragen, zum Beispiel: «Mit welchen gesetzlichen Änderungen könnten wir die Rechte von Tieren rechtlich institutionalisieren?» Für ihre Studien arbeitet sie sowohl allein als auch mit anderen Forschenden zusammen.
Analogie zum Kriegsvölkerrecht
Aus Stuckis Doktorarbeit entstand das Buch «Grundrechte für Tiere», das mehrfach ausgezeichnet und vom SNF unterstützt wurde. Im Anschluss vertiefte sie ihre Arbeiten zur Tierrechtstheorie im Rahmen des SNF-geförderten Forschungsprojekts „Trilogy on a Legal Theory of Animal Rights“. In einem Fachartikel befasste sie sich zum Beispiel mit der Frage, ob Tiere juridische Rechte haben können, bereits haben oder haben sollten. Sie erklärt dazu: «Einfach gesagt: Da Tiere ebenso wie Menschen einen empfindungsfähigen Körper haben, der Schmerzen verursachen und getötet werden kann, ist es denkbar, dass Tiere in Analogie zum Menschen ebenfalls Rechte haben».
In demselben Artikel hat Stucki die neuen Kategorien der einfachen und fundamentalen Tierrechte entwickelt. Einfache Tierrechte, die sich aus den geltenden Tierschutzgesetzen ableiten lassen, «schützen sekundäre Interessen, zum Beispiel dasjenige, schmerzlos getötet zu werden.» Im heutigen, anthropozentrisch konfigurierten Recht «haben Tiere keine Rechte und können leicht ausgebeutet werden, wenn es im Interesse der Menschen ist, unter anderem für kulinarische Zwecke», fügt Stucki an. Fundamentale Tierrechte hingegen «sind starke Rechte, die sich an den Menschenrechten orientieren, wie das tierliche Recht auf Leben, auf Freiheit und darauf, nicht gefoltert oder gefangen gehalten zu werden».
Stucki fürchtet sich nicht vor hitzigen Debatten. In einer viel beachteten Fachpublikation aus dem Jahr 2023 entwickelte sie eine neue, elegante Analogie zwischen dem Tierschutzrecht und dem Recht, das im Krieg gilt: dem humanitären Völkerrecht. «Beide Gebiete regeln inhärent gewalttätige Situationen, nämlich den Krieg und die Ausbeutung von Tieren, und beide arbeiten mit dem zentralen Grundsatz des Verbots unnötiger Leiden», erklärt sie. So wie die Menschenrechte zur Humanisierung des Kriegsrechts beigetragen haben, könnten laut der Forscherin Tierrechte auch das Tierschutzrecht positiv beeinflussen. «Auf der Grundlage dieser Analogie können Tierrechte und Tierschutz als komplementäre statt sich gegenseitig ausschliessende rechtliche Ansätze verstanden werden.»
Fleischpreise sollten doppelt so hoch sein
In jüngerer Zeit hat Stucki ihre Tätigkeit auf die Bereiche Umwelt- und Gesundheitsrecht ausgeweitet. In Anlehnung an das ganzheitliche One-Health-Konzept entwickelte sie in einem kürzlich erschienenen Buch den One-Rights-Ansatz. «Darin versuche ich, Menschenrechte und Tierrechte in ein ganzheitliches Konzept zu integrieren», erklärt sie.
Im Rahmen des One-Health-Ansatzes erforscht die Rechtswissenschafterin nun das Ernährungssystem und die Fleischproduktion als Modellfall aus der Praxis. «Es ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammenhängt, denn es ist extrem ungesund, nicht nachhaltig und verursacht unermessliches Tierleid», sagt Stucki, die selbst seit 20 Jahren vegan lebt.
Staaten könnten diesem Zustand mit verschiedensten Massnahmen begegnen. Die Schweiz zum Beispiel müsste die Fleischpreise mindestens verdoppeln, «um alle Kosten zu internalisieren, auch Subventionen, die Gesundheit der Bevölkerung, Tierschutz und Umweltauswirkungen».
Im Gleichschritt mit ihrer Forschung hat sich in den letzten Jahren auch die weltweite Gesetzgebung weiterentwickelt, und einige Gerichte haben Urteile erlassen, wonach Tiere als Rechtsträger anzuerkennen sind. «Als ich vor 15 Jahren meine Forschung begann, hielt ich die Vorstellung von gesetzlich verankerten Tierrechten für völlig utopisch. Deshalb war ich sehr erstaunt, als im Verlauf des letzten Jahrzehnts erstmals solche anerkannt wurden, und zwar nicht in der Schweiz oder in Europa, sondern in Südamerika und Asien.» So entschieden indische Gerichte 2011 und 2015, dass Vögel das Recht haben, nicht in Käfige gesperrt zu werden, sondern frei fliegen zu können. In Ecuador sind die Rechte der Natur sogar in der Verfassung verankert.
Theorie der Tierrechte ist noch zu wenig erforscht
Diese neuen Entwicklungen haben Stucki auch bewogen, bei ihrer Forschung zur Tierrechtstheorie von einem deduktiven auf einen induktiven Ansatz zu wechseln. «Ich untersuche jetzt die tatsächliche Rechtspraxis und die vielfältigen Gründe für die Anerkennung von Tierrechten. Auf der Grundlage dieser Praxis entwickle ich eine Theorie der realen Tierrechte als neues Phänomen.» Andere Forschende ermutigt sie ebenfalls, die Anwendung der deduktiven Argumentation in der Tierrechtstheorie zu hinterfragen, da diese «der aktuellen Tierrechtspraxis möglicherweise nicht gerecht wird.» Sie selbst habe auch zuhause Praxis, findet sie mit einem Lächeln. Sie teilt ihr Daheim mit einem «sehr haarigen» Hund, den sie aus dem Tierheim geholt hat.
Im neuen Center for Animal Rights and the Environment (CARE), das sie derzeit an der ZHAW aufbaut, will Saskia Stucki auf ganzheitliche Ansätze in der Tierrechtstheorie setzen. Dort wird sie eine eigene Gruppe aufbauen und mit ihrer Forschung in neue Bereiche vordringen, denn «die Tierrechtstheorie ist noch so wenig erforscht, dass viele Nischen und Freiräume für originelle, bahnbrechende Forschung verbleiben.»
Angetrieben von einem Sinn für Gerechtigkeit
Saskia Stucki ist in der Zentralschweiz aufgewachsen. Motiviert durch ihren Sinn für Gerechtigkeit, absolvierte sie ein rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Basel. Erst während ihres Masterstudiums wurde ihr klar, wie sich ihre beiden Leidenschaften für Tiere und für Recht verbinden lassen. 2015 promovierte sie an der Universität Basel mit einer Arbeit über Grundrechte für Tiere. Von 2012 bis 2016 koordinierte sie das Doktoratsprogramm «Law and Animals».
Danach forschte Stucki am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und, unterstützt durch den SNF, an der Harvard Law School. Seit Oktober 2024 ist sie Dozentin und Forscherin für öffentliches Recht an der ZHAW und Postdoktorandin an der Universität Zürich. Seit Juli 2025 ist sie Leiterin des Center for Animal Rights and the Environment (CARE) an der ZHAW.
Schweizer Wissenschaftspreis Latsis
Der Schweizer Wissenschaftspreis Latsis wird seit 1984 jedes Jahr vom SNF im Auftrag der 1975 gegründeten öffentlich-rechtlichen, gemeinnützigen Stiftung Fondation Latsis Internationale mit Sitz in Genf verliehen. Ausgezeichnet werden Forschende, die in der Schweiz arbeiten und deren akademisches Alter maximal zehn Jahre beträgt. Der mit 100'000 Franken dotierte Preis gehört zu den renommiertesten Schweizer Auszeichnungen für wissenschaftliche Forschung.
Die Preisverleihung findet (zusammen mit der Verleihung des Marcel-Benoist-Preises) am Donnerstag, 6. November 2025 um 18 Uhr im Bundeshaus in Bern statt. Medienschaffende können sich per E-Mail anmelden: media@prixscientifiques.ch.