Die erwärmte Schweiz

Die Welt hat weitergewirtschaftet wie bisher: Die Schweiz ist gegen Ende des 21. Jahrhunderts rund 5 Grad wärmer als heute. Eine Städterin, ein Gemüsebauer, eine Bauunternehmerin und ein Rentner berichten aus der warmen Zukunft. Von Roland Fischer, Illustration von Brunner & Meyer

(Aus "Horizonte" Nr. 108 März 2016)​​​

Geschichten aus der Zukunft

Wie lebt es sich in einer wärmeren Schweiz? In 20, 50, 100 Jahren? Wenn man einen Blick in die etwas fernere Zukunft wagt, halten sich Experten mit Prognosen zurück. Geschichten über mögliche Leben lassen sich dennoch erzählen. Die Texte ignorieren vieles, wie mögliche gesellschaftliche Umbrüche oder neue Technologien. Wie bei Science-Fiction üblich, erzählen die Geschichten ebenso viel über die Gegenwart wie über die Zukunft. So soll man dieses Experiment auch verstehen: als Denkanstoss für Weichenstellungen, die eher heute als morgen anstehen.
Mit Dank an ProClim und die vier Experten, die den Ausblick gewagt haben: Martin Hoelzle (Berglandschaften und Permafrost), Jürg Fuhrer (Landwirtschaft), Eberhard Parlow (Stadtklima), Marco Pütz (Raumplanung). Den wissenschaftlichen Blick auf eine sich erwärmende Schweiz wird ein Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz liefern, der im Laufe des Jahres erscheint.

Catherine, 37, Grafikerin, Neuenburg:
"Wenn nur der Strom nicht ständig ausfallen würde"

"Kürzlich war ich in Stockholm. Da leben tatsächlich noch Leute in der Altstadt! Liegt wohl auch an der Lage am Meer, dass die Hitze nicht so in den engen Gassen liegenbleibt. Ich habe kürzlich den Fachbegriff dazu gelesen: Wärmeinseleffekt – klingt so unangenehm ja eigentlich gar nicht. Aber ohne Klimaanlage wäre das längst nicht mehr auszuhalten.
Diejenigen meiner Freunde, die es sich leisten können, sind schon fast alle in die Hügel um die Stadt gezogen oder in die neuen Quartiere, die klimaoptimiert gebaut sind – und kommen im Sommer eigentlich nur noch nachts zum Feiern ins Zentrum. In der Altstadt leben nur noch Leute wie ich, die einfach nahe beim Bahnhof sein müssen. Trotz Home-Office: Ich muss nun mal regelmässig an Sitzungen fahren. Wenn nur der Strom nicht ständig ausfallen würde."

Jan, 53, Gemüsebauer , Murten:
"… all die Wetterextreme auf einmal …"

"Ich weiss nicht, wie ich weitermachen soll. Unsere Familie hat den Hof nun schon in der achten Generation. Schaffen, schaffen und nicht dem Wetter die Schuld geben, hat mein Grossvater immer gesagt. Aber das waren ja auch noch andere Zeiten damals, um die Mitte des 21. Jahrhunderts herum. Der Klimawandel hatte ja durchaus sein Gutes für Bauern im Seeland: warme Temperaturen und trotzdem genug Wasser.
Sowieso: Wenn nicht die treuen Kunden wären, die mir immer wieder zureden, es brauche die lokale und nicht komplett industrialisierte Produktion, ich hätte schon lange aufgehört. Es ist wirklich schwierig geworden, all die Wetterextreme auf einmal: verregnete oder zu trockene Frühlinge und viel zu trockene und heisse Sommer. Das lässt sich eigentlich nur noch meistern, wenn man massiv in Infrastruktur investiert und vermehrt vom Wetter geschützt unter Dach produziert. Die Banken und Konzerne würde es freuen, aber so hatte das mein Grossvater nicht gedacht."

Stefanie, 29, Bauunternehmerin, Davos:
"Uns wird die Arbeit nicht ausgehen"

"Also eins vorweg: Ich kann nicht klagen. Es war eigentlich immer klar, dass ich unser Familienunternehmen übernehmen würde, und ich habe den Entscheid nie bereut. Die Ausbaustrategie meines Vaters setze ich fort – wir müssen in den Berggebieten eine starke Präsenz zeigen, in denen unser Knowhow gefragt ist: Bernasconi Tiefbau – Landschaftssicherung und Geschiebe-Management.
Angefangen hat das Unternehmen mal klein in Splügen, aber heute haben wir vor allem in den "reichen" Tälern zu tun. Da eben, wo viel gemacht wird, im Valsertal, um Davos/Klosters und natürlich im Engadin. Dämme bauen, Hänge sichern. Oder auch mal ganze Flussläufe umleiten, letztlich die sicherste Lösung zum Hochwasserschutz. Und immer wieder Bachläufe ausbaggern, Murgänge wegschaffen. Persönlich bedauere ich es natürlich, dass sich nicht alle Gemeinden diese Infrastrukturkosten leisten konnten und ganze Talschaften aufgegeben wurden. Aber der Permafrost schmilzt nun mal langsam, aber sicher weiter. Uns wird die Arbeit nicht ausgehen."

Leo, 71, Gebäudetechniker im Ruhestand, Crans-West:
"In der Stadt hätte ich es nicht mehr ausgehalten."

"Schon verrückt, wie hier in den letzten 30 Jahren noch einmal gebaut worden ist. Aber durchaus sanft in die Landschaft eingefügt, zum Beispiel der neue Spitalund Einkaufskomplex – nicht so wie die Betonmonster von früher. Ich lebe ganz gern hier oben, auf kühlen 1500 Metern und mit allen Vorzügen, die so eine Sonderzone zu bieten hat. Zum Glück habe ich im richtigen Moment geerbt – bei all den Superreichen, die ins Alpenklima ziehen. In der Stadt hätte ich es nicht mehr ausgehalten. Aber was heisst das schon noch: Stadt! Die Bevölkerungszahl der Urbanregion Crans-Montana-Randogne, oder, wie es sich inzwischen kurz eingebürgert hat: Cramoran, hat kürzlich auch die 15'000er-Grenze geknackt.
Ich war ja immer fasziniert von Architektur und wie sich der Holzbau in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts nach der Betonkrise entwickelt hat, Wahnsinn. Ich wohne auch in einem dieser eleganten Hochhäuser mit angenehmem Raumklima. Es ist nur etwas nahe am Wald. Letztes Jahr hat sich der Brand fast bis zu uns durchgefressen. Schade auch, dass der Swimmingpool leer bleiben muss seit fünf Jahren. Finde ich ehrlich gesagt ein wenig übertrieben, die Massnahme – die Reichen drüben in Randogne besprenkeln ihre Rasen ja auch in der grössten Sommerhitze."