Er untersucht unsere Arbeitsweisen

David Giauque

Homeoffice, Wohlbefinden, Leistungsstreben: David Giauque untersucht aktuelles Personalmanagement in öffentlichen Einrichtungen. Er will verstehen, warum es gelingt und warum nicht.

Der Wissenschaftler David Giauque lässt sich in seiner Forschung von einer einfachen Frage leiten: Wie klappt es? Worauf er diese Frage dagegen bezieht, nämlich auf das Personalmanagement in öffentlichen Einrichtungen, kommt Uneingeweihten ziemlich komplex vor. «Ich versuche zu verstehen, wie es Gruppen von Menschen in Organisationen gelingt, sich zu verständigen und zusammenzuarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen», erklärt er.

Giauque lädt an seinen eigenen Arbeitsort ein und lässt bei einer Tasse Kaffee seinen Werdegang Revue passieren: Nach einem Master in Politikwissenschaft an der Universität Lausanne arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP), ebenfalls in Lausanne. Dann erhielt er vom Schweizerischen Nationalfonds ein Mobilitätsstipendium und nahm im kanadischen Montreal seine Doktorarbeit über das Personalmanagement in öffentlichen Einrichtungen in Angriff. Nun konzentrierte Giauque sich zunehmend darauf, wie bestimmte Gruppen von Menschen in Organisationen – in der Soziologie nennt man sie Kollektive – eigentlich funktionieren. «Der Soziologe Emile Durkheim beobachtete an der Wende zum 20. Jahrhundert einen Umschwung: Die traditionellen bäuerlichen Gemeinschaften, in denen das Individuum mit dem Kollektiv verschmolz, wurden von stärker industrialisierten und individualistischer geprägten Gesellschaften abgelöst. Er wollte wissen, auf welchen Grundlagen und nach welchen Regeln sich diese entwickeln», erklärt der Forscher, der inzwischen Professor für Personalmanagement und öffentliche Verwaltung am IDHEAP ist. «Genau das interessiert mich auch, wenn ich die Entwicklung der Arbeitsweisen verfolge.»

Spitäler sind besonders komplex

Weshalb aber interessiert er sich gerade für den «öffentlichen» Aspekt des Personalwesens? «Weil sich dieser Sektor neuen Herausforderungen stellen muss. Auf der einen Seite steht er für bestimmte Werte: Die Einzelperson, ihr Wohlbefinden und ihre berufliche Entwicklung stehen im Zentrum. Auf der anderen Seite werden wie im Privatsektor Individualismus und Leistungsstreben immer wichtiger.» Dies kann Gefahren bergen. «Zum Beispiel hat das Pflegepersonal das Gefühl, keine gute Arbeit mehr zu leisten, weil immer mehr Zeit mit dem Ausfüllen von Formularen verloren geht, die dann für die Patientinnen und Patienten fehlt. Wenn man nur die Leistung anschaut und vergisst, weshalb die Pflegenden diesen Beruf gewählt haben, kann es sein, dass sie irgendwann keinen Sinn mehr darin sehen», erklärt er.

Der Experte ist überzeugt, dass eine Arbeitsgemeinschaft in einer öffentlichen Einrichtung nur funktionieren kann, wenn ein Gleichgewicht besteht zwischen Vorgaben von oben und der informellen Regulierung innerhalb der Teams, bei der gegenseitiges Helfen und Uneigennützigkeit häufig wichtige Elemente sind. «Dies kann in gewissen Einrichtungen wie zum Beispiel in Spitälern äusserst komplex sein.» An solchen Orten seien unter Umständen Dutzende verschiedener Berufe vertreten: Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte, technisches Personal, Verwaltungsangestellte und so weiter. «Jeder Beruf bildet eine Gruppe mit eigenen Regeln und Werten sowie mit einer eigenen Vorstellung von Zusammenarbeit.» Damit es mit allen zusammen klappe, brauche es ein Management, das auf die einzelnen Berufsgruppen zugeschnitten sei, dies auf der Grundlage von gemeinsamen institutionellen Regeln. «Dabei darf auch die Einzelperson nicht vergessen werden», so Giauque.

Riesiges Versuchslabor dank Covid-19

Durch neue Arbeitsweisen wird die Komplexität in öffentlichen Einrichtungen noch verstärkt, da sie zusätzliche Anpassungen des Personalmanagements erfordern. «Covid-19 bot uns mit der plötzlichen Verbreitung von Homeoffice im Jahr 2020 eine einmalige Gelegenheit: Wir hatten ein grosses natürliches Versuchslabor zur Verfügung, um eine neue Arbeitsform zu untersuchen», erzählt Giauque. «Viele Führungskräfte wussten nicht, wie sie Teams im hybriden Arbeitsstil führen sollten», erklärt der Forscher, der Gute Praktiken für das Personalwesen in diesem neuen Kontext identifizieren will. Sein Fazit: Die Arbeit im Homeoffice bedingt organisatorische Änderungen wie eine bessere Teamorganisation, die Berücksichtigung der Tatsache, dass gewisse Mitarbeitende online arbeiten können und andere nicht, oder Massnahmen für attraktivere Büros, damit die Mitarbeitenden wieder bereit sind, vor Ort zu kommen. Denn das Bedürfnis nach sozialen Kontakten sei nicht verschwunden. «Vier Tage pro Woche allein vor dem Computer für mich persönlich wäre das eine Tragödie! Ich denke, das Optimum liegt eher bei zwei bis drei Tagen.» Der Forscher interessiert sich im Übrigen für sämtliche Entwicklungen, die Normen in der Arbeitswelt verändern: nicht nur das Homeoffice, sondern auch Coworking Spaces, die Flexibilisierung der Arbeit oder neue Informations- und Kommunikationstechnologien. Er untersucht, wie sich diese Entwicklungen auf die Leistung und die Gesundheit der Angestellten auswirken.

Derzeit beschäftigt sich Giauque mit weiteren Forschungsfragen. Eine betrifft den Einbezug von künstlicher Intelligenz in das Personalwesen, zum Beispiel für die Personalrekrutierung oder -evaluation. In Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen macht er deshalb eine Bestandesaufnahme über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in den öffentlichen Verwaltungen in der Schweiz. In einem nächsten Schritt wird er die Auswirkungen einordnen: Ist künstliche Intelligenz objektiv? Hat sie Vorurteile? Wie berücksichtigt sie eine gewisse Originalität bei bestimmten Profilen? Im Rahmen der zweiten Forschungsfrage evaluiert er die verschiedenen Praktiken des Personalmanagements in öffentlichen Einrichtungen, insbesondere in Schweizer Gemeinde- und Stadtverwaltungen. «Das wurde hierzulande noch kaum untersucht. Sind die bestehenden Praktiken sinnvoll? Welche sind besonders sinnvoll? Tragen sie zum Wohlbefinden oder zur Leistung der Angestellten bei? Oder sogar zu beidem?»

Und was denkt David Giauque, der sich täglich mit dem Arbeitsalltag auseinandersetzt, über seine eigene Arbeit? «Ich habe grosses Glück: ein motivierendes Team und eine Einrichtung, deren Werte ich teile. Ich kann Tätigkeiten im Bereich der Lehre und der Forschung sowie Mandate der öffentlichen Hand ausführen. Kurz: Ich habe einen tollen Job.»

Das Leben des Wissenschaftlers besteht aber nicht nur aus Arbeit. Er liest gerne Romane, ausserdem historische und politische Werke. Er interessiert sich für Sport, den er in seiner Jugend auf einem recht hohen Niveau betrieben hat. «Ich beobachte gerne Mannschaften, beispielsweise während Fussballspielen: Weshalb gewinnen die einen, während die andern verlieren, weshalb sind die einen erfolgreich und andere nicht?» Man könnte auch sagen: Personalmanagement in einem anderen Kontext!