Das Öl der Zukunft heisst Wissenschaft

Saudi-Arabien hat vor sechs Jahren eine mehrere Milliarden Dollar teure Universität eingeweiht. Das Land hat ein ehrgeiziges Ziel: Es will eine weltweit führende Wissenschaftsnation werden. Von Mohammed Yahia

(Aus "Horizonte" Nr. 108 März 2016)​​​

​Am Ufer des Roten Meeres, rund 150 Kilometer von Dschidda entfernt, steht ein brandneues Forschungsinstitut mitten in der saudi-arabischen Wüste. Und es soll nichts weniger, als das reiche Erdölland durch Wissenschaft in eine wissensbasierte Wirtschaft wandeln. Die King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) wurde 2009 eröffnet und verkörpert den Traum des verstorbenen Königs, mit einer Hightech-Universität die wissenschaftliche Forschung im Land anzukurbeln. Das ehrgeizige Projekt – eine Mischung aus Universität für Master- und PhD-Studierende und Forschungsinstitut – ist die erste saudi-arabische Einrichtung, die nicht an der Geschlechtertrennung festhält. Mit einer Starthilfe von 20 Milliarden US-Dollar wurde die Universität mit fortschrittlichen Labors ausgestattet. So gelang es, die Forschungselite aus aller Welt anzulocken. In kurzer Zeit hat sich die KAUST zu einem der führenden Forschungszentren der arabischen Welt entwickelt.

Während die Nachbarländer Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Dependancen renommierter westlicher Universitäten setzen, entschied sich Saudi- Arabien, eine Universität von Grund auf, nach dem Vorbild führender privater Universitäten des Westens, selbst zu planen.

Inspiriert von ETH und EPFL

"KAUST ist im Grunde genommen ein Experiment und ein Motor für Neues. Findet dieses Anklang, wird es von anderen übernommen, und falls nicht, verworfen ", erklärt Jean Fréchet, Vizepräsident Forschung. Fréchet war zuvor an der University of California, Berkeley, tätig und wechselte an die KAUST kurz nach deren Einweihung. Heute zählt die KAUST 901 Studierende, davon sind knapp 40 Prozent Frauen.

Bei der Gründung dienten auch die ETH Zürich und die EPFL als Vorbild, erklärt Fréchet. Diese erhalten Zuschüsse vom Bund, so können Forschende laufend finanziell unterstützt werden und müssen nicht nur auf Stipendien warten. "Die KAUST hat beides. Einerseits sind wir auf Stipendien angewiesen, andererseits bieten wir eine Grundunterstützung", sagt Fréchet. Das Modell werde sehr geschätzt, da es Forschenden ohne "Warterei" auf Stipendien erlaube, ehrgeizige Projekte zu verfolgen.

Die grosszügige Unterstützung, die fortschrittliche Infrastruktur und die visionären Ziele ziehen etablierte Forschende aus aller Welt an. Der Präsident der KAUST, Jean-Lou Chameau, ist ehemaliger Präsident des Caltech (California Institute of Technology). Gründungspräsident Shih Choon Fong war zuvor Präsident der National University of Singapore. Suzana Nunes (Porträt S. 19), stellvertretende Dekanin der Abteilung für Biologie, Umwelt- und Ingenieurwissenschaften, sagt: "Als ich mich bewarb, gefiel mir vor allem, dass die Universität einem die Freiheit und Unterstützung gibt, sein Bestes zu geben." Die zentralen Labors böten Studierenden die Möglichkeit, sich weiterzubilden und gleichzeitig mit hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten.

Fréchet betont, dass die KAUST nicht zu schnell wachsen möchte und primär Fachkräfte rekrutieren wolle, die Spitzenforschung betreiben und sich für das Ziel der Universität engagieren: "Wir wollen keine Touristen, sondern Menschen, die einen wahren Beitrag leisten."

Teil eines grösseren Plans

Denn die KAUST ist Teil des umfassenden Plans Saudi-Arabiens, den Wissenschafts- Output des Landes zu steigern. Das Königreich hat 2009 einen nationalen Wissenschaftsplan ins Leben gerufen, der bis 2030 dauern soll und in Fünfjahresabschnitten mit klaren Vorgaben unterteilt ist. Die erste Phase endete 2014 und hatte zum Ziel, eine Infrastruktur zur Förderung und Unterstützung der Wissenschaft an allen Universitäten und Forschungszentren aufzubauen.

"Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Forschung von hoher regionaler und internationaler Bedeutung und Qualität ist", sagt Abdulaziz Al-Swailem, Vizepräsident für die Förderung von wissenschaftlicher Forschung an der King Abdulaziz City for Science and Technology (KACST). Das Institut ist für die Erstellung der Wissenschaftsstrategie des Landes verantwortlich. Gemäss Nature Index ist der saudiarabische Wissenschafts-Output in den letzten zwei Jahren so stark gewachsen, dass das Land – bis auf Israel – alle Staaten im Mittleren Osten überholt hat.

Al-Swailem ist klar, dass die grösste Herausforderung ist, eine Wissenskultur in der Bevölkerung zu kreieren. Während der letzten Jahre wurden führende wissenschaftliche Publikationen ins Arabische übersetzt. "Wir wollen Wissen generieren und es allen Bereichen der Gesellschaft zugänglich machen. Um erfolgreich zu sein, müssen wir Wissen in der Gesellschaft schaffen und den Hunger danach wecken."

Mohammed Yahia ist Wissenschaftsjournalist in Kairo.