Handelspartnerschaft zwischen Schweiz und China unter historischer Lupe
Pragmatismus und Vorsicht prägen die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und China seit den 1970er-Jahren. Mit Unterstützung des SNF untersuchen eine Anthropologin und ein Historiker diese Dynamiken.
China ist nach der Europäischen Union und den USA der drittgrösste Handelspartner der Schweiz. Neben Island gehört die Schweiz zu den wenigen europäischen Ländern, die ein Freihandelsabkommen mit Peking ausgehandelt haben. Wie pflegen die beiden wirtschaftlich eng verflochtenen Länder ihre Beziehungen, die seit Jahrzehnten im Spannungsfeld zwischen Misstrauen und Interesse stehen? Eine vom SNF unterstützte Forschungsarbeit (*) zeichnet die Entwicklung dieser Handelsbeziehungen über die letzten 50 Jahre nach.
Während die immense Grösse des chinesischen Marktes für die Schweizer Wirtschaft seit Langem Stoff für Träume bietet, galt es auch immer wieder Hürden zu überwinden. Belastet wurde die Partnerschaft laut der Studie unter anderem durch Fragen zum geistigen Eigentum und politische Spannungen. Im Vordergrund steht dabei der Druck westlicher Demokratien wegen der Menschenrechtssituation in China. Hinzu kommt der Transfer von Technologie und Know-how von Schweizer Unternehmen an die immer wettbewerbsfähigeren chinesischen Konkurrenten. Schliesslich beleuchtet die Studie auch Herausforderungen, denen Unternehmerinnen und Unternehmer aus beiden Ländern im Ausland begegnen – insbesondere administrative Hindernisse und Ungleichbehandlung in China sowie das Misstrauen der Öffentlichkeit in Bezug auf chinesische Investitionen im Schweizer Telekommunikationssektor.
Für ein möglichst umfassendes Bild haben Lena Kaufmann, Anthropologin an der Universität Freiburg, und Niklaus Remund, Historiker an der Universität Zürich, ihre Ansätze kombiniert. Remund konzentrierte sich auf die Jahre 1970 bis 2000. Er durchforstete offizielle Dokumente wie Firmen- und Bundesarchive, Korrespondenzen, Reiseberichte oder diplomatische Erklärungen und interviewte Beteiligte. Damit konnte er die Beziehungen über einen längeren Zeitraum verfolgen. Die Anthropologin Lena Kaufmann bearbeitete den Zeitraum von der Jahrtausendwende bis heute durch die Untersuchung chinesischer Unternehmen in der Schweiz. Dazu sammelte sie Aussagen von rund 50 Personen beider Nationalitäten.
Die Forscherin betont, wie wichtig es ist, die Motivation der Menschen zu verstehen. «Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung dieser Firmen. Wie an vielen Orten auf der Welt wird klar, dass die Bevölkerung wesentlich kritischer eingestellt ist, als es zunächst scheint, sei es gegenüber der eigenen Regierung oder ihrem Unternehmen.» Der anthropologische Ansatz, der hauptsächlich auf Feldforschung beruht, ergänzt die Perspektive des Historikers, erklärt Lena Kaufmann: «Wenn man Leute befragt und beobachtet, erhält man Zugang zu Informationen, die in den offiziellen Dokumenten fehlen.»
Einige Aussagen veranschaulichen interessante Geschichten von Schweizer Unternehmen in China. Ein Beispiel ist der Aufzughersteller Schindler, der bereits Anfang der 1980er Jahre in den Markt einstieg und damit zum ersten westlichen Joint Venture im Land wurde. Ein inzwischen über 70 Jahre alter ehemaliger leitender Angestellter erzählt, dass die Regierung unter Deng Xiaoping – dem de facto Führer der Kommunistischen Partei Chinas von den späten 1970er bis in die späten 1980er
Jahre – Aufzüge zu einer Priorität erklärte. Denn er strebte eine vertikale Verdichtung der Städte an und wollte die Unabhängigkeit der Städte und des Landes sicherstellen. Dank dieser vom Staat diktierten Politik habe Schindler direkt auf dem nationalen Markt verkaufen können. Normalerweise mussten die im Land produzierenden Unternehmen hingegen exportieren, um Devisen ins Land zu bringen. Diese Geschichte könnte erklären, warum der Schweizer Hersteller auch heute noch einen grossen Marktanteil am chinesischen Binnenmarkt für Aufzüge hat.
Chinas Telekommunikation stösst auf Misstrauen
Ab den 2000er Jahren setzte eine Gegenbewegung ein, bei der immer mehr chinesische Investitionen in die Schweiz gelenkt wurden. Huawei, Alibaba Cloud und China Telecom errichteten Niederlassungen in der Schweiz. Diese Unternehmen haben in der öffentlichen Meinung Westeuropasoft einen schlechten Ruf, ganz besonders als Anbieter in der sensiblen Telekommunikationsbranche. Erschwerend kommt dazu, dass die USA Druck auf ihre Partner ausüben, weniger chinesische Produkte aus diesem Sektor zu verwenden. Problematisch ist auch, dass die chinesische Regierung Betreiber zwingen kann, Daten offenzulegen, die sie als wichtig für ihre nationale Sicherheit erachtet.
Die Forscherin befragte eine chinesische Führungskraft von Huawei, die Gründungsmitglied des Teams in der Schweiz war, über die Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen und Schweizer Partnern. Sie bestätigte anfängliche Schwierigkeiten, ein offenes Verhältnis zu ihnen aufzubauen. Und die öffentliche Wahrnehmung blieb länger kritisch. «Man traut uns nicht», wiederholte sie mehrmals. Chinesische Unternehmen haben verschiedene Ansätze gewählt, um dieses Misstrauen auszuräumen, zum Beispiel durch die Anstellung von europäischen Mitarbeitenden oder die Verwendung von Begriffen, die in der Schweiz positiv besetzt sind, wie «Nachhaltigkeit», «grün» oder «Innovation». Eine Strategie, die Lena Kaufmann auch am Zürcher Standort des Technologiegiganten Huawei beobachten konnte, wo «eine lebensgrosse Plastikkuh, die sowohl für ein Projekt des Unternehmens steht als auch auf Schweizer Werte anspielt, die Besuchenden in der Eingangshalle begrüsst».
Kultur und globale Geopolitik beeinflussen Handel
Aufgrund ihrer Arbeit formuliert die Anthropologin einige Empfehlungen. Erstens sollte ihres Erachtens in der Schweiz mehr Wissen über China vermittelt werden – sprachliches, kulturelles, historisches, politisches und wirtschaftliches. «In Zürich zum Beispiel sind im Gymnasium lediglich zwei Stunden Geschichtsunterricht pro Woche vorgesehen. China kann dort wegen des dichten Lehrplans und der unzureichenden Stundenzahl kaum behandelt werden. Auch der Bund sollte die Expertise über China stärker fördern», ist sie überzeugt.
Wichtig sei es auch, diese Handelsbeziehungen in einem globalen geopolitischen Rahmen zu betrachten. So habe die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oder den USA relativ neutrale und pragmatische Haltung der Schweiz dem Land die Gunst Pekings eingebracht. Gleichzeitig kann diese Haltung Misstrauen bei den westlichen Partnern hervorrufen, insbesondere in Washington. Die Forscherin ist der Ansicht, dass Druck aus Europa oder den USA die chinesisch-schweizerische Partnerschaft beeinträchtigen könnte.
Diese geopolitische Dimension gewinnt derzeit an Bedeutung, weil die Schweiz die US-Zollpolitik mit voller Wucht zu spüren bekommt. Was viele Schweizer Unternehmen dazu veranlasst, sich stärker dem chinesischen Markt zuzuwenden, stellt die Forscherin fest. Aber auch mit China bestehe ein Machtungleichgewicht, warnt sie. «Man darf nicht vergessen, dass die Schweiz in einer schwächeren Verhandlungsposition ist, ihre Wirtschaft ist für China weit weniger wichtig als umgekehrt. Hingegen dürfte die Antwort der chinesischen Regierung auf allfällige Änderungen im politischen Kurs oder auf Kritik aus der Schweiz nicht höhere Zölle nach sich ziehen, sondern subtilere und implizitere Reaktionen, zum Beispiel im Hinblick auf das Freihandelsabkommen.»