Blut, Schweiss und Kot

Zwei Menschen einer Nomadengemeinschaft in Tschad. © Christian Heuss

Im Tschad untersuchen Forschende aus der Schweiz Parasitenerkrankungen von Mensch und Tier. Sie wollen zu einer verbesserten Gesundheit der verletzlichen nomadischen Lebensgemeinschaften beitragen. Von Christian Heuss

​Ein Handschlag und als Geschenk eine schwarze Ziege. So besiegelt der Clanchef der Foulbé-Nomaden das Forschungsvorhaben. Jakob Zinsstag vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel war in den letzten zwanzig Jahren schon oft hier am Südufer des Tschadsees. "Nur dank dauerhaften Beziehungen und gegenseitigem Respekt können wir die Gesundheit der Nomaden erforschen."

Mit der geschenkten Ziege auf der Ladefläche fährt der Allradwagen von der Stadt Gredaya aus immer tiefer in den buschig-grünen Sahel. Die Fahrt ist holprig, Wasserpfützen an den Lehmstrassen zeugen von Regenfällen. Auf Bäumen und Büschen zwitschern bereits die ersten Zugvögel aus Europa. Für Fremde wird die Orientierung mit jeder Abzweigung hoffnungsloser. Nur einer scheint genau zu wissen, wohin die Reise geht. "Mein Gehirn ist wie ein GPS", sagt Ali Baye Abba Abakar lachend. Er ist neben dem Fahrer und der Krankenschwester Hadjé Falmata die zentrale Figur im Team von Zinsstags Doktorandin Helena Greter. Ali Baye spricht die lokalen Sprachen und hat auf seinem Handy die Telefonnummern vieler Nomadenfamilien gespeichert.

Die Foulbés, die Goranes und die Kuris unterscheiden sich zwar in ihren nomadischen Lebensweisen, ihrer Sozialstruktur oder ihren Wanderrouten deutlich voneinander, doch sie gehören alle zu den verletzlichsten Bevölkerungsgruppen in einem der ärmsten Länder der Welt. Weil sie keinen festen Wohnsitz haben und mit ihren Viehherden von einigen hundert Tieren, Eseln und Karren von Weidefläche zu Weidefläche ziehen, fallen sie durch das staatliche Netz: Schulen für Nomadenkinder fehlen, die medizinische Versorgung ist schlecht und die Kindersterblichkeit hoch.
Zinsstag verfolgt einen systemischen Ansatz. "Wenn wir die Gesundheit dieser Menschen verbessern wollen, dann müssen wir ihre Lebenssituation verstehen." Gesundheit ist nicht nur ein medizinisches Problem, sondern Teil eines sozio-ökologischen Ganzen. Der Veterinärmediziner und Epidemiologe Zinsstag arbeitet deshalb nicht nur mit Humanmedizinerinnen, sondern auch mit Geografen, Ethnologen und Public-Health-Expertinnen zusammen.

Ausgebrochene Rinderherde

Trotz Ali Bayes Orientierungssinn finden Greter und ihr Team die Nomadengruppe nur mit Schwierigkeiten. Weil die Rinderherde am Nachmittag ausgebrochen war, hat sich der für heute vorgesehene Übernachtungsort verändert. Nun lagern auf einer Fläche von vielleicht hundert mal hundert Metern verstreut etwa zehn Familien mit ihren Kindern, den spärlichen Habseligkeiten, Kochstellen und farbigen Zelttüchern in der Nähe eines grossen Baums. Dahinter weiden Rinder. Der Rauch kleiner Feuer vertreibt in der Dämmerung die Malaria übertragenden Anophelesmücken.

Kurz nach Ankunft des Forschungsteams versammeln sich die Männer der Gruppe sitzend im Kreis. Bei bitter-süssem Schwarztee erklärt Helena Greter ihre Forschungspläne. Sie möchte die Gruppe mit ihrem Team in den kommenden Monaten dreimal besuchen, um Tier und Mensch auf Wurmparasiten hin zu untersuchen. Damit zielt ihre Arbeit auf ein von den Nomaden selbst geäussertes Gesundheitsproblem. Denn einerseits befällt ein Saugwurm, der grosse Leberegel, häufig das Vieh der Nomaden, wodurch die Milchleistung und der Verkaufspreis für das Vieh sinken. Andererseits leiden die Menschen unter dem ähnlichen Pärchenegel, dem Verursacher der Bilharziose. Die oft chronisch verlaufende Krankheit schwächt die Gesundheit, kann zu blutigem Urin und sogar zum Tod führen. Frühere Untersuchungen belegen eine Infektion bei mindestens jedem zehnten Kind.

Hier teilen sich Mensch und Tier den Lebensraum. Ist das Muster, wie sie von den Parasiten befallen werden, deshalb ähnlich? Diese Frage treibt Helena Greter um. An den Wasserstellen sammelt sie Wasserschnecken, die den Saugwürmern in ihrem Lebenszyklus als Zwischenwirte dienen. Greter bestimmt, wie viele der Schnecken Wurmlarven in sich tragen. Mit diesen Daten und einem mathematischen Modell wollen Greter und Zinsstag den besten Zeitpunkt für eine gleichzeitige medikamentöse Behandlung von Mensch und Tier bestimmen. "So können wir den Parasitenbefall langfristig stark vermindern", ist Zinsstag überzeugt.

Greter spricht französisch, Ali Baye übersetzt. Die Nomaden stellen viele Fragen, auch gelacht wird viel. 15 Tiere und 15 Menschen will Greter in den kommenden 24 Stunden untersuchen. Sie hält sich dabei an ein strenges Protokoll, das von den Ethikkommissionen in der Schweiz und im Tschad bewilligt wurde. Für Krankheitsfälle hat sie Medikamente dabei.

Mit dem Lasso eingefangen

Nach einer sternenklaren Nacht nur unter Moskitonetzen beginnt kurz nach Sonnenaufgang die schwere Handarbeit. Zur Bestimmung der Leberegel-Infektionen bei den Rindern muss Greter Kotproben untersuchen. Die Foulbé-Männer fangen die stattlichen Tiere mit einem Lasso ein und halten sie an den Hörnern fest. Helena Greter greift mit einem grünen Plastikhandschuh tief in den Darmausgang des Viehs und zieht frischen Kot heraus.

Frühmorgens herrscht bereits Betrieb auf dem Zeltplatz. Während die Männer Greter helfen – und die Kinder dem ungewohnten Treiben der Forscherin zuschauen –, sorgen sich die Frauen ums Essen. Einige melken Kühe, andere schlagen Butter oder stampfen Mais zu einer Polenta-ähnlichen Masse. Im Kreis der Männer folgt nach einer kurzen Morgenpause die Besprechung zu den Untersuchungen bei den Familien. Greter wählt zufällig Probandinnen und Probanden aus der Gruppe aus. Sie erhalten zwei weisse Plastikbecher: einer für die Stuhl-, der andere für die Urinprobe. Zusätzlich wird Krankenschwester Falmata sie mit einem detaillierten Fragebogen zu ihrem Gesundheitszustand befragen.

Morgens um zehn Uhr brennt die Sonne bereits heftig vom Himmel, die Zeit eilt davon. Unter einem schattenspendenden Strauch richtet Helena Greter ihr Feldlabor ein. Auf einem Klapptisch steht ihr mit Solarstrom betriebenes Mikroskop. Zu Hause in Basel hat sie jeden Handgriff zur Analyse des Urins und des Kots geübt. Doch nun, im Feld, kommt alles anders: Schmeissfliegen stürzen sich auf die Stuhlproben, die Färbemethode und das Timing muss Greter optimieren. Doch schon bei der zweiten Viehkotprobe erkennt sie die Wurmeier mit ihrer typisch spindelförmigen Silhouette.
Helena Greter wird in den kommenden Monaten Hunderte solcher Untersuchungen machen, fein säuberlich dokumentieren und statistisch auswerten. Dabei wird sich nicht nur das Bild der gesundheitlichen Situation der Nomaden schärfen. Die Forscherin wird auch die Lebensweise der Nomaden des Tschads besser kennenlernen. "Eine aussergewöhnliche Chance", sagt sie, während sie den nächsten Objektträger unter das Mikroskop legt.

Christian Heuss leitet die Kommunikationsabteilung des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts in Basel.

(Aus "Horizonte" Nr. 101, Juni 2014)