Das Los kann entscheiden, wenn es eng wird

Nach einer Pilotphase führt der SNF das Losverfahren als Möglichkeit in allen Förderinstrumenten ein. Es kann zur Anwendung kommen, wenn sich einzelne Gesuche bei der Evaluation nicht weiter differenzieren lassen.

Peer-Review-Verfahren und Diskussionen in Fachgremien sind die wichtigsten Methoden, mit denen der SNF die Qualität von Forschungsprojekten beurteilt. Ob ein Gesuch finanzielle Förderung erhalten soll, lässt sich allerdings trotz der wissenschaftlichen Evaluation nicht immer eindeutig mit Ja oder Nein beantworten. Die Mehrheit der Gesuche bewegt sich in einem sehr guten Mittelfeld. Aufgrund des nur begrenzt zur Verfügung stehenden Budgets, müssen die Mitglieder des Evaluationsgremiums eine Auswahl treffen. Um die überzeugendsten Projekte herauszufiltern, definieren sie jeweils eine Trennlinie, die sogenannte Förderlinie. Gesuche, deren Beurteilungsergebnis über der Linie liegen, werden gefördert, jene darunter nicht.

Los statt unbewusste Vorurteile

In seltenen Fällen lassen sich Gesuche rund um die Förderlinie jedoch nicht mehr weiter sachlich differenzieren; sie sind de facto gleichwertig. Deshalb besteht die Gefahr, dass unbewusste Vorurteile der Expertinnen und Experten – zum Beispiel gegenüber Herkunft, Interdisziplinarität oder auch Risikobereitschaft solcher Gesuche – den Ausschlag für ein Ja oder Nein geben. Das belegt die Forschung zur Evaluation. In solchen Situationen kommen Peer-Review-Verfahren oder Fachgremien an ihre Grenzen, und ein vermeintlich sachlicher Förderentscheid kann etwas Willkürliches haben. Dem wirkt eine Losziehung entgegen.

Einführung nach erfolgreicher Pilotphase

Von 2018 bis 2020 hat der SNF das Losverfahren während einer Pilotphase im Instrument Postdoc.Mobility der Karriereförderung angewendet. Nach einer eingehenden Auswertung hat das Präsidium des Nationalen Forschungsrats entschieden, dieses Verfahren ab 2021 als Teil des Evaluationsprozesses in allen Förderinstrumenten zu ermöglichen. "Nur wenige Gesuche werden einem Losverfahren unterliegen", betont Matthias Egger, Präsident des Forschungsrats. "Es geht ausschliesslich um diejenigen, die sich gerade bei der Förderlinie befinden."

Besteht nicht die Gefahr, dass ein Zufallsentscheid für oder gegen ein Gesuch Ungerechtigkeit schafft oder gar Karrieren verhindert? Im Gegenteil, findet Matthias Egger: "Es handelt sich um Projekte, die aus wissenschaftlicher Sicht als gleich gut bewertet wurden. In dieser Situation ist es am fairsten, ein Losverfahren anzuwenden." Denn dieses sei blind.

Aus rechtlicher Sicht spricht nichts dagegen. Bereits 2011 äusserte sich das Bundesgericht zu den Anforderungen an Zufallsentscheide. Das Verfahren muss demnach transparent und vertrauenswürdig sein. Sowohl physische wie elektronische Losziehungen sind zulässig, wenn alle Kandidaturen die gleichen Chancen haben.

Zettel aus der Kapsel

Der SNF setzt auf eine physische Losziehung. Kommt es in einer Evaluationsrunde zur Situation, dass sich wenigstens zwei, aber auch mehr Gesuche objektiv nicht weiter differenzieren lassen, wird ihre Nummer vor den Augen der Expertinnen und Experten auf einen Zettel geschrieben. Jeder Zettel wird in eine undurchsichtige Kapsel gesteckt. Ein Mitglied des Gremiums oder der SNF-Geschäftsstelle zieht dann aus einer durchsichtigen Schüssel eine Kapsel nach der andern. Die so entstehende Zufallsrangliste gibt schliesslich Auskunft darüber, welche Gesuche über der Förderlinie und welche darunter zu liegen kommen. Der gesamte Ablauf wird gefilmt und dokumentiert.

In den Bescheiden an die Gesuchstellenden weist der SNF im Falle von Zusprachen und Ablehnungen per Losentscheid aktiv darauf hin. Dies erhöht die Transparenz. Die nicht geförderten Forschenden erfahren so zudem, dass ihr Gesuch von sehr guter Qualität war, auch wenn es letztlich nicht finanziert wurde. Während der Pilotphase hat sich gezeigt, dass die Entscheide grundsätzlich akzeptiert werden.

Künftig kann das Losverfahren in allen Instrumenten der SNF-Forschungsförderung zur Anwendung kommen. Es ist weiterhin bei Postdoc.Mobility und ab sofort bei Sinergia Teil des Auswahlverfahrens. Auch in der Projektförderung wurde im Fachgebiet Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften im März 2021 erstmals das Los gezogen. "Von 278 evaluierten Gesuchen waren 9 davon betroffen, also nur ein geringer Prozentsatz", sagt Matthias Egger. "Genau für diese wenigen Gesuche aber war der Losentscheid sinnvoll."

Auch international wird das Los gezogen

Der SNF steht nicht alleine da. So führte Neuseeland das Losverfahren bereits 2015 in einem nationalen Förderinstrument ein. Die grösste private Förderagentur Deutschlands, die Volkswagenstiftung in Hannover, setzt seit 2017 ebenfalls auf den Zufallsentscheid, um einige wenige Beiträge zu verteilen. Und der FWF, das österreichische Pendant zum SNF, zieht das Los in seinem 1000-Ideen-Programm.

"Indem wir das Losverfahren jetzt in unserer gesamten Forschungsförderung ermöglichen, gehen wir bei der Weiterentwicklung der Evaluation voran", freut sich Matthias Egger. "Im Falle von engen Entscheidungen wird die Auswahl noch fairer, was den Forschenden zugutekommt, die sich um Fördergeld bewerben."