Die Zukunft des Lexikons

ein Lexikon © Fotolia/masaandsaya

Z – das "Historische Lexikon der Schweiz" ist am Ende des Alphabets. Ist das auch das Ende des Lexikons? Macht Wikipedia die von Fachleuten geschriebenen Wissenssammlungen überflüssig? Keineswegs, findet nicht nur François Vallotton, Mitglied des Stiftungsrats des historischen Lexikons, sondern auch der langjährige Wikipedianer Charles Andrès.

(Aus "Horizonte" Nr. 104, März 2015)​Der Zufall wollte es, dass jüngst zwei Meilensteine der Lexikografie zeitlich zusammenfielen: Erstens die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen die renommierte "Encylopedia Universalis" und zweitens die Veröffentlichung des dreizehnten und letzten Bandes des "Historischen Lexikons der Schweiz" als Abschluss eines monumentalen Projektes, das fast ein Vierteljahrhundert in Anspruch nahm und seit 1998 nicht mehr nur auf Papier, sondern auch in elektronischer Form erscheint.

Bedeutet dies, dass Enzyklopädien nur noch ein Relikt der Vergangenheit sind, weil sie durch neue Recherchemöglichkeiten über das Internet verdrängt werden? Diesen Schluss zu ziehen wäre voreilig, denn es bleibt durchaus weiterhin Platz für digitale Projekte mit hohem wissenschaftlichem Mehrwert, als Alternative, oder vielleicht eher als Ergänzung, zu partizipativen Nachschlagewerken wie Wikipedia. Dass solche Werke auch künftig ihre Berechtigung haben werden, wenn sie denn gewisse Voraussetzungen erfüllen, möchte ich am Beispiel des historischen Lexikons aufzeigen.

Die Entwicklung eines in sich geschlossenen, kontrollierten lexikografischen Konzepts, das mehr Gewicht auf Ausgewogenheit und systematische Einträge legt als auf zufällige, subjektive Erweiterungen, ist nach wie vor absolut plausibel, vor allem im Rückblick. Ein zweites Argument betrifft die Optionen zum Recherchieren und Gruppieren von Informationen. Das Nachschlagen beschränkt sich hier nicht wie bei den meisten Online-Fachwörterbüchern auf eine Volltextsuche. Vielfältige Funktionen zur Indexierung und Semantisierung werden sich künftig als unverzichtbare Werkzeuge erweisen. Ebenso müssen Links zu gewissen Referenzdatenbanken in den jeweiligen Fachbereichen gewährleistet werden. Schliesslich herrscht zwar Einigkeit darüber, dass Multimedia-Konzepte attraktiv sind, sie müssen aber Gelegenheit bieten, mit der Vorherrschaft des Textes über Bild und Ton zu brechen. Audiovisuelle Elemente dürfen nicht auf eine blosse Illustration des gedruckten Textes reduziert werden, sondern müssen ebenso wie der Text einen Beitrag zum lexikografischen Gesamtkonzept leisten.

Vor dieser Herausforderung steht auch das neue Projekt des "Historischen Lexikons der Schweiz", das derzeit in enger Verbindung mit der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften ausgearbeitet wird. Es bietet ein spannendes Labor für die gesamte Historik-Gemeinschaft und eine Chance, eine jahrhundertealte schweizerische Tradition weiterzuführen.

François Vallotton ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Lausanne und Mitglied des Stiftungsrates des "Historischen Lexikons der Schweiz". Vallotton ist auf die Geschichte des Verlagswesens und der Medien spezialisiert.