Eismeister der Klimaforschung

Der Physiker Hubertus Fischer trotzt der arktischen Kälte, um anhand von uraltem Eis das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren. Damit lässt sich das Klima der Zukunft besser voraussagen. Von Daniela Kuhn

(Aus "Horizonte" Nr. 106, September 2015)
Bild: © Valérie Chételat

An diesem strahlenden Sommermorgen schweift der Blick vom Hauptgebäude der Universität Bern in die verschneiten Alpen. Gleich nebenan, in einem Büro der Abteilung für Klima- und Umweltphysik, erzählt Hubertus Fischer, wie er zu seiner heutigen Leidenschaft kam, zur Polarforschung und zur Erforschung des Klimas.

Die Naturwissenschaften lagen dem 49-Jährigen bereits nach dem Abitur in Karlsruhe nahe. Trotzdem entschied sich Fischer für Architektur, vermisste dabei aber schon sehr bald "den stringenten mathematischen Ansatz". Die Vorlesungen in Physik, die er probehalber besuchte, faszinierten ihn hingegen auf Anhieb.

Klima im Eis konserviert

"Nach dem Vordiplom wollte ich die weite Welt schnuppern", sagt Fischer lachend. Er studierte während eines Jahres an der University of Oregon. Zurück in Deutschland, wechselte er nach Heidelberg, wo er sein Physikstudium abschloss. Auf der Suche nach einer Diplomarbeit empfahlen ihm Kommilitonen Dietmar Wagenbach als Betreuer. Sein späterer Doktorvater fragte ihn im ersten Gespräch: "Können Sie Ski fahren und kochen? Ich hätte da vielleicht etwas für Sie in Grönland."

Fischer brauchte sich den Vorschlag nicht lang zu überlegen, den Norden liebte er schon immer. Ausgestattet mit Motorschlitten, Pistenfahrzeugen und Zelten, fuhr er mit sieben Kollegen ins Innere der grössten Insel der Welt. Ziel der Expedition war, anhand von Eisbohrkernen das Klima der letzten Jahrhunderte und die Luftverschmutzung in Nordgrönland, die über Aerosole aus den USA und Europa nach Grönland gelangt, zu rekonstruieren.

Diese Wochen seien eine umwerfende Erfahrung gewesen, sagt Fischer – es sollte nicht seine letzte Polar-Expedition bleiben. Nach seiner Promotion reiste er zuerst im Rahmen eines Postdoc-Aufenthalts ins kalifornische San Diego, wo er sich in sein heutiges Spezialgebiet einarbeitete, die Untersuchung von Gasen in Eisbohrkernen. Wieder in Europa, entwickelte er zunächst am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und später an der Universität Bern neue Methoden für isotopische Untersuchungen von Treibhausgasen im Eis, mit denen man die Quellen dieser Gase identifizieren kann. Für diese Messungen wird mehrere Kilometer durch das Eis gebohrt. Die Herausforderung besteht dabei, an kleinsten, aus dem Eis extrahierten Luftproben hochpräzise Messungen durchzuführen. Wenige Milliliter Luft geben Aufschluss über Veränderungen des Klimas, die Konzentration von CO2 dessen Gehalt an Kohlenstoff- 13. Das Isotop verrät, aus welcher Quelle das Treibhausgas stammt – aus dem Ozean oder der Zersetzung von Biomasse an Land.

Experte mit Meinung

Das Resultat dieser Messung: Der Anteil an CO2 war in den letzten 800 000 Jahren noch nie so hoch wie heute. Auch das Treibhausgas Methan war im selben Zeitraum nie so hoch wie jetzt; es hat in den letzten Jahrhunderten um 150 Prozent zugenommen.

"Das alles sind Folgen von menschlichem Tun, das heute schon das Klimasystem signifikant beeinflusst." Fischer sagt das alles sehr sachlich. Empörung oder ein Appell, die Klimaerwärmung zu bekämpfen, schwingen nicht mit. Angesprochen auf die politische Relevanz seiner Forschung meint er: "Wie alle Klimaforscher habe ich persönlich eine Position und bin mir der drastischen Folgen des menschgemachten Klimawandels bewusst, aber ich weiss zwischen meinen Rollen als Wissenschaftler und Bürger zu trennen." Widersprechen tun sie sich nicht, denn Fischers Forschungsergebnisse regen die notwendige gesellschaftliche Debatte an. "Ich wollte am Anfang meiner beruflichen Karriere nicht die Welt retten", sagt er, "aber als Experte muss man aufstehen und die Fakten klar auf den Tisch legen." Das tut er. Nachdem Klimaskeptiker eines seiner Ergebnisse missbrauchten, um daraus den unlogischen Schluss zu ziehen, dass CO2 das Klima nicht beeinflusse, achtet er umso mehr auf die Informationshoheit über seine Ergebnisse.

Fliegen ruiniert seine CO2-Bilanz

Seit sieben Jahren lebt der Deutsche in Bern. Der Wechsel an die Universität Bern passte doppelt, da Hubertus Fischer im Rahmen von Bohrungen in den Alpen und Grönland schon länger mit Berner Forschern zu tun hatte und seine langjährige Partnerin mit ihren zwei Kindern in Bern lebte. Entsprechend war die Professur in Bern "der Sechser im Lotto". Er benötigt mit dem Velo zehn Minuten zur Arbeit. Ein
Auto besitzt er nicht. Das sei ein Beitrag, den er leisten könne, aber leider müsse er beruflich oft fliegen, und das ruiniere seine CO2-Bilanz. Die vielen Flüge kompensiert er bei der Organisation Myclimate, die das Geld in nachhaltige Klimaschutzprojekte investiert.

Die Rolle als Bürger und die als Wissenschaftler sind allerdings nicht immer so klar trennbar. Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative lancierte Fischer die Online-Petition "Switzerland must remain part of European science", die darauf hinwies, dass der Austausch von Wissen und Experten in der international vernetzten Wissenschaft unabdingbar ist. Einige tausend Unterschriften kamen zusammen, Fischer übergab sie dem Bundesrat und dem EU-Parlament. Wie eine Illustration zur Petition wirkt der Pfosten in seinem Büro, auf dessen Schilder die Namen verschiedener Universitätsstädte angebracht sind. Auf den internationalen Polar-Expeditionen stellt das Team jeweils einen solchen "Baum" auf.

Es ist schon länger her, seit Fischer selber im hohen Norden war. Im Jahr 2019 soll im Rahmen des "Oldest Ice Project" in der Antarktis erstmals ein Eiskern erbohrt werden, der die Klimageschichte der letzten 1,5 Millionen Jahre umfasst. Für drei Monate möchte er dann wieder ins Feld, in die endlose Eiswüste, die bis zum Horizont reicht: "In dieser Extremsituation, in der ich dem E-Mail-Terror entkomme und innerlich ganz ruhig werde, in dieser unendlichen Stille nehme ich dann kleine Schönheiten wahr, etwa die Vielfalt der glitzernden Schneekristalle oder wie sich die Farbe des Himmels um Nuancen verändert."

Ausgezeichneter Eiskernforscher

Hubertus Fischer (49) ist Professor für experimentelle Klimaforschung an der Universität Bern. Er wurde kürzlich bereits zum zweiten Mal mit einem prestigeträchtigen ERC Advanced Grant des europäischen Forschungsrats ausgezeichnet.