Nutzlose Antibiotika-Verschreibungen in den Griff bekommen

Nutzlose Antibiotika-Verschreibungen in den Griff bekommen
© SDI Productions / iStock

Oft drängen Erkrankte ihre Ärztin zur unnötigen Verordnung von Antibiotika. Dies fördert Resistenzen. Mehr Vertrauen in die Patienten könnte helfen. So das überraschende Resultat einer vom SNF geför-derten Studie.

Jährlich sterben fünf Millionen Menschen durch bakterielle Infektionen, weil die Krankheitserreger gegen Antibiotika resistent sind. Im Jahr 2050 werden es laut WHO schon doppelt so viele sein. Neuartige Wirkstoffe und Therapien könnten diese Entwicklung bremsen. Aber mindestens genauso wichtig ist der verantwortungsbewusste Umgang mit diesen Medikamenten.

«Uns interessiert, inwiefern menschliches Verhalten dazu beiträgt, dass sich das Resistenz-Problem verschärft», sagt der vom SNF unterstützte Kommunikationswissenschaftler Peter J. Schulz. «Dann können wir die falschen Muster durchbrechen.» Sein Team an der Università della Svizzera italiana USI hat jetzt dafür eine wichtige Stellschraube entdeckt: das Vertrauen, das Hausärztinnen und Hausärzte ihren Patientinnen und Patienten entgegenbringen.

An die neunzig Prozent aller Antibiotika werden in Hausarztpraxen verschrieben. Ein Teil dieser Verordnungen ist jedoch nutzlos, zum Beispiel bei viralen Erkrankungen wie Erkältungen − denn die Präparate helfen nur gegen Bakterien. Trotzdem bitten Erkrankte oft um eine Verschreibung, auch wenn es medizinisch nicht angezeigt ist. Und manchmal bekommen sie ihren Wunsch auch erfüllt.

Die Gründe dafür sind laut Schulz unterschiedlich, wohl spiele auch Zeitmangel in der Sprechstunde oder fehlende Konfliktbereitschaft eine Rolle. «Hier braucht es in der medizinischen Praxis klare Grenzen, wenn wir die Resistenzen wirklich brechen wollen.» Deshalb analysierte er in einer nun publizierten Studie* die Interaktion zwischen Arzt und Patient beim Verordnen von Antibiotika. Solche Untersuchungen, die beide Perspektiven wechselseitig berücksichtigen, gibt es bisher kaum.

Männer fragen mehr nach Antibiotika

Das Team befragte dafür acht Hausärztinnen sowie 101 ihrer Patientinnen in der italienischsprachigen Schweiz. Letztere gaben unter anderem Auskunft darüber, ob sie in der Sprechstunde aktiv Antibiotika verlangen würden. Die Auswertung identifizierte einige Faktoren, die dabei eine Rolle spielen.

Eher nach Verschreibungen fragen demnach Menschen, die sich selbst als krankheitsanfällig einschätzen und deswegen wohl eine möglichst umfassende Behandlung wünschen. Auch Männer sowie Personen mit niedrigerer Bildung wollen öfter ein Rezept. Bei diesen demografischen Gruppen gibt es nach Ansicht der Forschenden noch Nachholbedarf bei der Wissensvermittlung.

Die Studie erfasste zudem das Vertrauen, das die beiden Parteien einander entgegenbringen. Eigentlich hatten die Forschenden erwartet, dass mehr Vertrauen in die Ärztin mit weniger Verlangen nach Antibiotika verbunden ist. Dies war überraschenderweise nicht der Fall.

Doch es gab einen anderen Zusammenhang: Wenn ein Arzt der erkrankten Person mehr vertraut, so fragt diese weniger nach einem Antibiotikum. Diese Beobachtung war unabhängig vom Geschlecht. «Dabei handelt es sich wohl um einen Interaktionseffekt», so Schulz. «Die Person spürt, dass der Arzt ihr vertraut, und das bewirkt wiederum, dass sie nicht nachfragt.» Um diesen Prozess im Detail zu verstehen, seien aber grössere Studien nötig.

Richtige Selbsteinschätzung zutrauen

Trotzdem könnte die Erkenntnis schon jetzt dafür genutzt werden, den überflüssigen Konsum von Antibiotika zu reduzieren, beispielsweise durch zeitverzögerte Verschreibungen. Hierbei stellt die Ärztin ein Rezept aus, das erst nach einigen Tagen eingelöst werden kann – wenn es dann überhaupt noch angezeigt ist. Denn oft bessert sich bei harmlosen viralen Erkrankungen der Zustand nach einigen Ta-gen von selbst, falls keine bakterielle Infektion dazukommt.

In Ländern wie den Niederlanden habe diese Methode den Verbrauch merklich reduziert, so Schulz. In einer weiterführenden Studie untersucht er nun, ob dies auch im Schweizer Gesundheitssystem funktionieren könnte.

Im Grunde geht es um sogenanntes Empowerment – also das Bestreben, erkrankte Menschen mehr in medizinische Entscheidungen einzubinden. «Das bedeutet in diesem Fall aber nicht, dass sie ein Antibiotikum bekommen, wann immer sie wollen», so Schulz. Sondern, dass die Ärztin ihrer Patientin zutraut, die eigene gesundheitliche Situation richtig einzuschätzen. Und die Tabletten nur dann einzunehmen, wenn es wirklich nötig ist.