Fleisch schafft Stress, Freunde beruhigen – Die Emotionen von Menschenaffen

Schimpansen beim gemeinsamen Essen im Dschungel von Uganda.

Forschenden ist es dank Wärmebildkameras gelungen, einen tieferen Einblick in die Psyche von Schimpansen zu erhalten. Mitten im Regenwald von Uganda haben sie den Stresspegel der Primaten während der Nahrungsaufnahme gemessen.

Haben Tiere ähnliche Gefühle wie wir? Und wenn ja, wie können wir diese Gefühle bestimmen, obwohl wir ihre Sprache nicht verstehen? Über diese Fragen wird seit jeher diskutiert. Ein vom SNF unterstütztes Team liefert nun neue Antworten. Forschende der Universität Neuenburg haben mit Wärmebildkameras die Gefühle wildlebender Schimpansen untersucht. In der Zeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society B zeigen sie, dass die Nasentemperatur ein guter Indikator für Stress ist.

Bei Schimpansen und den übrigen Primaten – einschliesslich der Menschen – schwankt die Nasentemperatur je nach Erregungszustand. Mehrere Studien zeigen, dass das Thermometer bei positiven Emotionen steigt und bei negativen Emotionen sinkt. Dieser Effekt wurde im Labor nachgewiesen. Aber hat er auch in der Praxis bei wildlebenden Primaten Gültigkeit? Das wollten die Neuenburger Forschenden herausfinden. Gemeinsam mit französischen und britischen Kolleginnen und Kollegen haben sie ihre Hypothesen bei einer Gruppe von Schimpansen im Regenwald von Uganda überprüft.

Durchgeführt haben sie die Arbeiten in einem spezialisierten Forschungszentrum mitten in der Wildnis – ein einzigartiger Ort, an dem Primatologinnen und Primatologen aus der ganzen Welt die Tiere seit über dreissig Jahren in ihrer natürlichen Umgebung erforschen. Laut Adrian Soldati, Co-Autor der Studie, ist es so möglich, ihr Verhalten zu beobachten, ohne sie zu stören. «Die Schimpansen sind sich an Menschen gewöhnt. Das ist die Voraussetzung: Wir könnten ihren Stress gar nicht messen, wenn wir ihn allein durch unsere Anwesenheit verursachen würden.»

Die Schimpansen essen mehrmals pro Tag in der Gruppe diejenige Nahrung, die sie gemeinsam erbeutet oder gesammelt haben. Die Forschenden richteten während dieser geteilten Mahlzeiten aus etwa sieben Metern Entfernung Wärmebildkameras auf die Gesichter der Schimpansen, um ihre Nasentemperatur zu messen.

Dominante Männchen erhöhen den Stresspegel

Gemäss einer ersten Erkenntnis steigt der Stress beim Essen je nach Nahrungsmittel. Die stets reichlich vorhandenen Feigen sorgen kaum für Aufruhr. Kommt hingegen begehrtes Fleisch auf den Tisch, zeigen die Schimpansen weitaus stärkere Emotionen: Das Thermometer sinkt. «Die Schimpansen streiten sich oft um Fleisch, da es nur selten auf der Speisekarte steht. Dabei kommt es häufig zu Diebstählen und Aggressionen und das Absinken der Nasentemperatur ist Ausdruck dieser Stresssituation», erklärt Adrian Soldati.

Eine weitere Erkenntnis der Forschenden: Die Anwesenheit von Männchen erhöht den Stresspegel. Insbesondere dann, wenn es sich um dominante Tiere handelt, die tendenziell ihre Artgenossen bedrängen, um an deren Futter zu kommen. «Durch den Nachweis des Stresses, der durch diese Situation verursacht wird, zeigt die Wärmebildkamera, wie sehr die Gesellschaft der Schimpansen von männlichen Individuen dominiert wird. Zum Vergleich: Wir konnten kein Absinken der Nasentemperatur messen, wenn die Nahrungsaufnahme nur unter Weibchen geschah.»

Des Weiteren stellten die Forschenden fest, dass die Nasentemperatur der Tiere in Gegenwart von "Freunden" – nahestehende Individuen, die die Forschenden als "Sozialpartner" bezeichnen, um die Gefahr einer Vermenschlichung zu minimieren – tendenziell ansteigt. Ein Indikator, der laut Adrian Soldati auf eine positive Emotion hinweist. «Er zeigt, dass sich die Tiere bei diesen Partnern wohl fühlen.»

Die Schimpansen essen mehrmals täglich in unterschiedlichen Konstellationen. So konnten die Forschenden genügend Daten sammeln, um nachzuweisen, dass ihre Methode funktioniert. Künftig will Adrian Soldati mit den Kameras die Gefühle von Schimpansen auch in anderen wichtigen Momenten ihres Soziallebens erforschen, beispielsweise beim Entlausen.

«Wir wollten das Konzept, aber auch die Kamera, das Material und die Methoden in der Praxis erproben. Nun, da wir den Beweis erbracht haben, dass unsere Methode funktioniert, können wir ihr Potenzial voll ausschöpfen.» Mit dieser Arbeit haben die Forschenden ein neues Werkzeug zur Verfügung, um die Psyche des nächsten Verwandten des Menschen besser zu verstehen.

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