Gletscherseen beschleunigen Schwund des ewigen Eises

Namenloser Gletscher im zentralen Himalaya.
© @TobiasBolch

Wassermangel oder Flutwellen – Wenn das Abschmelzen von Gletschern mit Seen besser verstanden wird, können sie besser prognostiziert werden.

Weltweit ziehen sich die Gletscher zurück und hinterlassen dabei aus Geröll aufgeschobene Endmoränen. In der Vertiefung hinter diesen natürlichen Barrieren kann sich im Laufe der Zeit Schmelzwasser ansammeln und neue Seen bilden − in der Schweiz lässt sich dies beispielsweise beim Gruben- und beim Tschiervagletscher beobachten. Ragt die Zunge bis in den See hinein, so hat das Konsequenzen: Wie eine vom SNF-geförderte Studie nun zeigt, verdoppelt sich dadurch im Durchschnitt die Fliessgeschwindigkeit des Eises. Es schmilzt also schneller ab. «Diese Ergebnisse sind sehr wichtig für Prognosen zur Verfügbarkeit von Wasser», sagt der Studienleiter Tobias Bolch von der schottischen St. Andrews Universität, der zuvor viele Jahre an der Universität Zürich geforscht hat.

Dass Gletscher, die im Meer oder in einem See enden, schneller fliessen, ist in der Fachwelt schon länger bekannt. «Wir haben dieses Phänomen aber nun erstmals im grossen Massstab und detailliert für Gebirgsgletscher analysiert», sagt der Erstautor der Studie Jan Bouke Pronk. Die Untersuchung berücksichtigte alle 319 Gletscher mit einer Fläche von mehr als drei Quadratkilometern im zentralen und östlichen Himalaya, von denen etwa ein Fünftel einen See bilden. Die Gletscher in diesem Gebiet speisen grosse Flüsse wie den Ganges und den Brahmaputra und unterstützen die Wasserversorgung einer halben Milliarde Menschen.

Auftrieb der Eiszunge Im Wasser

Für ihre Analyse griffen die Forschenden auf Datensätze der europäischen Sentinel-2 Satelliten zurück, die das Gebiet alle fünf Tage überfliegen. Die Infrarotbilder aus den Jahren 2017 bis 2019 haben eine Auflösung von bis zu zehn Metern. Ein Algorithmus identifizierte auf diesen Aufnahmen kontrastreiche Strukturen wie etwa Geröll auf der Oberfläche des Eises und verfolgte, wie schnell sich diese im Laufe der Zeit talabwärts bewegten. Die Ergebnisse waren eindeutig: Gletscher, die in einen See münden, bewegten sich im Schnitt mit einer Geschwindigkeit von fast zwanzig Metern pro Jahr und waren damit mehr als doppelt so schnell wie solche, die an Land enden. Dabei spielte es keine Rolle, ob ihre Oberfläche mit viel Schutt bedeckt oder sauber war. Ein möglicher Grund für die Beschleunigung ist, dass die Gletscherzunge im Wasser Auftrieb erhält und dadurch weniger Widerstand überwinden muss.

Wenn die Gletscher schneller fliessen, sind in der Folge auch die im Eis gespeicherten Wasservorräte schneller erschöpft. «Bisher wurde der beschleunigende Effekt von Gletscherseen bei Vorhersagen aber nicht berücksichtigt», so Bolch, «Wassermangel in den betroffenen Regionen in Asien könnte deshalb früher auftreten als erwartet». Und noch in anderer Hinsicht sind die Ergebnisse wichtig: Mit ihnen lässt sich besser berechnen, wie schnell sich Seen füllen und wann die Gefahr besteht, dass der Damm der Endmoräne durchbrochen wird – und es zu einer riesigen Flutwelle kommt. Das gilt auch für die Schweiz.