Englisch unter Palmen

Sprache verändert sich ständig. Der Soziolinguist Tobias Leonhardt von der Universität Bern, Jahrgang 1989, untersucht in der Südsee, was den Wandel antreibt.

(Aus "Horizonte" Nr. 111 Dezember 2016)​​​

Kiribati ist sehr weit von meiner Universität in Bern entfernt, 14 466 Kilometer, in Luftlinie gerechnet. Tatsächlich muss man auf der Reise ein paar Mal umsteigen, etwa in Australien. Air Nauru bringt einen dann zum Flughafen auf dem Tarawa-Atoll. Bei meinem Besuch 2015 bin ich die letzten Kilometer in einem Kanu mitgefahren. Am Ziel habe ich drei Monate bei Amon, Tekinati und ihren Kindern in Hütten gewohnt, die aus Palmen- und Pandanusblättern gebaut sind. Ich nenne sie meine Kiribati-Familie – so nett und so offen waren sie. Da hat es mich nicht gestört, dass es kein fliessendes Wasser gab und nur manchmal Strom. Ein Ausgleich war das Toddy-Schneiden auf den Kokospalmen jeden Morgen und Abend. So nennt man das Verfahren, bei dem man die Fruchtstände anschneidet, um den süss-sauren Palmensaft zu gewinnen.

Amon und Tekinati sprechen Englisch und konnten für mich Kontakte knüpfen. Denn ich erforsche, wie sich das Englische auf der Inselgruppe während und nach ihren Tagen als britische Kolonie – der Südseestaat ist seit 1979 unabhängig – entwickelt hat. Eigentlich sollte man denken, dass es kein Problem sein kann, in einem Staat Englisch sprechende Menschen zu finden, in dem Englisch die zweite Amtssprache ist und die Schüler auf dem Schulgelände eigentlich nie ihre Muttersprache reden dürften. Tatsächlich beherrschen die meisten nur wenige Sätze, wie zum Beispiel: "Where are you going?" Das bedeutet aber eher: "Wie geht's."

Vom Paradies ins stille Kämmerlein

Es kommen kaum Ausländer nach Kiribati. Es gibt wenig Komfort, kein organisiertes Strandvergnügen. Spätestens wenn man den Hauptort South Tarawa verlässt, ist man als Europäer ein Spektakel. "I-Matang, I-Matang", rufen dann die Kinder, "Weisser, Weisser!" Aber alle sind aufgeschlossen, einem zu begegnen. Man wird ständig von wildfremden Menschen zum Essen eingeladen. So war es leicht, Kontakt zu schliessen. Und so gelang es mir letztlich auch, meine Englisch-Sprecher zu finden.

Als Soziolinguist untersuche ich, wie sich Kultur und Gesellschaft auf Sprache auswirken. Deshalb habe ich versucht, möglichst natürliche Gespräche zu führen. Dazu habe ich unauffällige Mikrofone benutzt, die ich mir und meinem Gegenüber anheften konnte. Wir haben einfach darüber geredet, worauf wir Lust hatten. Ich habe den Leuten von den Jahreszeiten und den Bergen in der Schweiz berichtet. Und die I-Kiribati – so heissen die Bewohner Kiribatis – haben mir von ihrem Leben erzählt, in einer Gesellschaft, in der Geld eine ganz andere Rolle spielt, kaum jemand Internet hat und man sich einen grossen Teil des Essens von den Pflanzen oder aus dem Meer holt. Das war superinteressant.

Weniger abwechslungsreich ist die Arbeit mit dem aufgenommenen Material zu Hause in der Schweiz. Ich analysiere vor allem, wie sich die Aussprache des Kiribati-Englischs von mehr standardisierten Formen unterscheidet. Da muss man dann Tausende Male genau hinhören, um alles richtig zu transkribieren und extrahieren. Immerhin habe ich schon erste Ergebnisse. So gibt es zum Beispiel interessante Aussprachen der englischen Konsonantenpaare p / b, t / d und k / g, wobei der erstere in jedem Paar stimmlos und der letztere stimmhaft ist, zum Beispiel in pea / bee, tea / dear oder key / gear. In Kiribati gibt es jeweils nur einen Konsonanten, der sich eben irgendwo dazwischen befindet. Manchen – eher jüngeren – gelingt die Unterscheidung im Englischen. Anderen – eher älteren – halt aber auch nicht.

Die Sprache und der Klimawandel

Meine Forschung ist ein Mosaikstein in einer globalen Beschreibung der englischen Varietäten in Mikronesien. Ich arbeite mit weiteren Doktoranden zusammen, die auf vier anderen Inseln in Mikronesien ebenfalls linguistische Daten erheben, auch zu Grammatik, Lexikon und Akzenten. So dokumentieren wir die linguistische Situation insgesamt in der Region. Wichtig ist das nicht zuletzt, weil Kiribati extrem vom Meeresspiegelanstieg bedroht ist. Gemäss einigen Prognosen könnten die Inseln schon in 50 Jahren überflutet sein. Eine soziolinguistische Frage wäre dann also, wie diese Bedrohung sich auf die Sprache auswirkt: Könnte es sein, dass die Jungen besser Englisch lernen, weil sie wissen, dass sie irgendwann nach Australien oder Neuseeland emigrieren müssen? Und vielleicht helfen unsere Studien zumindest dabei, Aufmerksamkeit auf eine sonst sehr unbekannte Ecke der Erde zu lenken oder auch besseres Lehrmaterial zu entwickeln.

Aufgezeichnet von Christian Weber.