Scientific Exchanges: Über den Tellerrand blicken, neue Netzwerke knüpfen
Ein einschneidendes Erlebnis auf Lesbos, eine unerwartete Anfrage aus Irland: Wissenschaftliche Austausche können unterschiedlich ins Rollen kommen. Doch bringen sie in gewissem Sinne alle das Gleiche: mehr als man erwartet hat.
Julie Franck war für vier Monate in Griechenland, zu Gast an der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Paul Guichard hat als Gastgeber für sechs Monate einen Forschenden an der Universität Genf empfangen. Für beide waren diese vom SNF unterstützten Austausche, da gibt es nicht den leisesten Zweifel, sowohl wissenschaftlich als auch menschlich enorm wertvoll und bereichernd.
Nachdenken im Land der Philosophen
Ihre Gastgeberin lernte Julie Franck bereits bei einer früheren Gelegenheit kennen. Zum ersten Mal trafen sie sich in Lesbos, an einem internationalen Workshop. Beide arbeiteten zu Fragen der Sprachaneignung, allerdings in unterschiedlichen Disziplinen. Julie Franck ist Kognitionswissenschaftlerin, Despina Papadopoulou ist Linguistin und Sprachdidaktikerin. Nah zusammen brachte die beiden ein einschneidendes Erlebnis: Mit Hilfe von zwei afghanischen Mädchen gelangten sie ins Flüchtlingslager Lesbos, das für Besucher eigentlich geschlossen war.
Zu dieser Zeit leitete Despina Papadopoulou das UNICEF-Programm, das Freiwillige für den Griechischunterricht ausbildete. Julie Franck ihrerseits hatte sich als Mitbegründerin der Cafés Solidaires der Universität Genf ebenfalls schon mit der Sprachvermittlung an Migrantinnen und Migranten auseinandergesetzt. Wissenschaftlich allerdings, so erkannte sie, hatten die beiden einen sehr unterschiedlichen Blickwinkel: «Didaktik und kognitive Wissenschaft können zu ein und demselben Thema forschen, und doch gibt es methodisch kaum Berührungspunkte», sagt Julie Franck. «Ich wollte deshalb ausloten, wie sich die Disziplinen gegenseitig befruchten können.» Doch sei es nicht einfach, die Grenzen des eigenen Fachs zu überwinden und in ein neues einzutauchen.
Genau hierfür hat Julie Franck von Anfang März bis Ende Juni 2022 einen wissenschaftlichen Aufenthalt bei Despina Papadopoulou an der Aristoteles-Universität Thessaloniki gemacht. «Vier Monate nachdenken, sich in ein Gebiet einarbeiten, von einer Expertin lernen – es war die Gelegenheit für mich», sagt sie. Und erzählt, dass sie mittlerweile mit Despina Papadopoulou eine Methode entwickelt, in der Lernende die Grammatik einer neuen Sprache konstant mit jener der eigenen Sprache in Verbindung bringen. Der Ansatz enthält Elemente sowohl aus der Didaktik wie aus der kognitiven Wissenschaft.
Mit der Expertise gleich noch ein internationales Netzwerk erhalten
Gegenseitig profitiert und sogar gemeinsam publiziert haben auch Paul Guichard und sein Gast, nachdem letzterer von Oktober 2021 bis März 2022 in Paul Guichards Labor zu Besuch war. Ciaran Morrison von der irischen Universität von Galway war Paul Guichard vorher zwar als Wissenschaftler, nicht aber persönlich bekannt gewesen: «Ciaran hat sich eines Tages einfach bei mir gemeldet», sagt Paul Guichard, «und geschrieben, dass er gerne einen Forschungsaufenthalt bei uns machen würde.» Das Labor, das Paul Guichard mit Kollegin Virginie Hamel leitet, erforscht Zentriolen, wichtige und evolutionär konservierte Organellenstrukturen von Zellen. Wie sich Zentriolen bilden, konnte bis jetzt nicht genau geklärt werden. «Während wir uns dem Problem mit strukturbiologischen Methoden näherten, verfügte Ciaran über genau die richtige Expertise in Genetik, um diese Arbeiten zu ergänzen», sagt Paul Guichard. Sie suchten deshalb eine Möglichkeit, Ciaran Morrisons Besuch zu verwirklichen – und fanden diese ebenfalls durch das Förderangebot Scientific Exchanges des SNF.
Als es so weit war, brachte Ciaran Morrison noch weit mehr als nur Fachwissen mit. Als älterer und erfahrener Forscher unterstützte er vielmehr schon bald Mitarbeitende in Paul Guichards Team mit Karrieretipps und vermittelte Kontakte. «Es hat sich ein richtiges Netzwerk und ein reger Austausch mit vielen weiteren irischen Forschenden ergeben», sagt Paul Guichard. Und Ciaran Morrison ergänzt: «Der Austausch von Know-how während der gemeinsamen Zeit im Labor war äusserst wertvoll. Mein grösster Wunsch ist aber, dass sich unsere gute Zusammenarbeit auch in Zukunft fortsetzt».
Zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen, doch Julie Franck und Paul Guichard stimmen überein: Der internationale Besuch hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. «Man kann wohl nie ganz genau abschätzen, was dabei herauskommt», sagt Julie Franck. «Aber es dürfte auf jeden Fall mehr sein, als man erhofft hat.»
Scientific Exchanges: Vernetzen Sie sich international
Sie möchten ausländische Kolleginnen und Kollegen für einen Aufenthalt in die Schweiz einladen oder sie im Ausland besuchen? Eine Veranstaltung in der Schweiz oder im hybriden oder virtuellen Format organisieren? Beantragen Sie beim SNF Unterstützung durch das Förderinstrument Scientific Exchanges. Es ist offen für alle Disziplinen. Gesuche können Sie jederzeit einreichen, jedoch mindestens vier Monate vor dem Besuch oder der Veranstaltung.