Wald gegen Windrad

230503-Wald gegen Windrad

Hierzulande darf Wald nur mit spezieller Genehmigung gerodet werden. Bis jetzt funktioniert das System gut. Doch der geplante Ausbau von Wind- und Solarenergie könnte vermehrt zu Konflikten führen.

Jedes Jahr werden in der Schweiz etwa 185 Hektar Wald gerodet − das entspricht der Fläche von 260 Fussballfeldern. Gründe dafür sind nicht Holzschlag oder Windbruch, sondern weil Platz gemacht wird für Strassen, Mobilfunkantennen, Trinkwasserfassungen, Kiesgruben und andere Infrastruktur. Und es ist zu erwarten, dass dem Ausbau von erneuerbaren Energien wie etwa Windkraftwerken oder Solaranlagen demnächst noch viel mehr Bäume zum Opfer fallen. Auch wenn verlorener Forst prinzipiell kompensiert werden muss.

Rodungen für Infrastruktur sind in der Schweiz genehmigungspflichtig, und es wird darüber genauestens Buch geführt. «Seit 120 Jahren wird jedes einzelne Projekt erfasst. Diese Datensammlung ist weltweit einzigartig und wurde bisher noch kaum für die Forschung genutzt», sagt der Agrarökonom David Troxler. Bisher habe sich die Forschung zu Waldrodungen hauptsächlich auf die Tropen und Entwicklungsländer fokussiert.

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP 73) hat der ETH-Doktorand nun die digitalisierten Datensätze aus den Jahren 2001 bis 2017 analysiert, die insgesamt über 6000 Projekte umfassten. Er suchte dabei nach Zusammenhängen zwischen den Gründen für die Waldrodungen und Faktoren wie Landschaft und Bevölkerungsdichte. Das Ziel: Die treibenden Kräfte besser zu verstehen und Lösungsansätze für potentielle Konflikte aufzuzeigen.

Im Grossen und Ganzen funktioniere hierzulande das System zum Schutz des Waldes derzeit gut, so Troxler. Zum Beispiel: In Gebieten mit intensiver Landwirtschaft werden nicht mehr bewaldete Flächen gerodet als anderswo. «Es läuft hier nicht so wie in den Tropen, wo gut erschlossene Waldflächen geopfert werden, um neue Anbauflächen zu schaffen.» Er konnte auch nicht feststellen, dass in touristisch geprägten Regionen in den Alpen besonders viel Forst für neue Skilifte oder ähnliche Infrastruktur abgeholzt wird. Das Fehlen solcher typischen Muster sei ein Zeichen dafür, dass die Kontrollmechanismen greifen. In den Alpen nimmt die bewaldete Fläche sogar zu, weil immer mehr Alpweiden der Natur überlassen werden.

Kaum Platz im Mittelland

Im Mittelland gab es pro vorhandener Waldfläche am meisten Verlust − zwischen 2001 und 2017 war dort etwa ein halbes Prozent der bewaldeten Gebiete von einer temporären oder dauerhaften Rodung betroffen. In dieser dicht besiedelten Region gibt es denn auch am meisten Zielkonflikte. «Hier konvergieren besonders viele Nutzungsansprüche», so Troxler. Zum einen sieht die Bevölkerung den Wald als wichtigen Erholungsraum und schützenswertes Ökosystem, zum anderen wollen die Menschen mehr Wohnraum und gute Verkehrsverbindungen. Auch die Holzwirtschaft ist im flachen und gut erschlossenen Mittelland attraktiv.

In dieser Region ist es deshalb auch zunehmend schwer, die gesetzlich vorgeschriebenen Ersatzflächen für gerodeten Wald zu finden. Die Landwirtschaft möchte dafür auf keinen Quadratmeter der bereits jetzt schrumpfenden Anbaufläche verzichten, Baugebiete will man nicht auszonen. «Weil man kaum gleichwertige Ersatzflächen mehr findet, wird man deswegen wohl vermehrt von den schon jetzt bestehenden Ausnahmeregeln Gebrauch machen müssen», erklärt Troxler. Diese sehen beispielsweise vor, dass es keine neue Aufforstung gibt, sondern dass bereits bestehender Wald ökologisch aufgewertet wird. Troxler analysiert zurzeit, wie oft diese Ausnahmen zu Anwendung kommen.

Für die nahe Zukunft erwartet Troxler eine Verschärfung der Zielkonflikte. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien wird auch auf Kosten der Bäume gehen, vor allem in den Alpen und im Mittelland, auch wenn die benötigte Fläche aufgrund der Vielfalt der Projekte schwer zu beziffern ist. Es braucht nicht nur Platz für die Windräder und Solaranlagen selbst, sondern auch für die entsprechenden Hochspannungsleitungen, Baustellenzufahrten und Stauseen. «Dabei steht diese Infrastruktur in Zusammenhang mit einer nachhaltigen Wirtschaft, die ja eigentlich gesellschaftlich erwünscht ist.» Dieser Zwiespalt zeigt sich bereits in der Rechtsprechung: Seit 2017 wird die Erhaltung des Forstes juristisch nicht mehr höher gewichtet als der Bau von Infrastruktur im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien.

Um zukünftige Konflikte zu minimieren, rät Troxler zu einer vorausschauenden Planung von Seiten der Behörden, um frühzeitig Realersatzflächen zu sichern − beispielsweise durch das Einrichten von Flächenpools zwischen verschiedenen Regionen. «Hier sollten die Kantone bereits Konzepte in der Hinterhand haben, damit das Walderhaltungsgebot nicht weiter aufgeweicht wird.»